Nachruf auf Dr. jur. Ursula Bücker (1947 - 2018)
Per aspera ad astra
Joan Baez singt im Lied „Diamonds and Rost“ aus dem Jahre 1974 über Bob Dylan: „You burst on the scene, already a legend“. Eine Übertreibung sicherlich, aber auch ein Ausdruck für Wertschätzung und Zuneigung. Es ist nicht abwegig, in Erinnerung an Ursula Bückers Eintritt in die VDJ-Regionalgruppe Dortmund zehn Jahre später an diese Baez/Dylan-Kombination zu denken.
Ursula hatte zuvor in Hamburg studiert und promoviert (als Mitbringsel aus Hamburg fand sich in ihrem Wohnzimmerschrank in Schenkenberg Geschirr aus dem Nachlass der berühmten Edgar-Wallace-Schauspielerin Elisabeth Flickenschildt). Ursula hatte zudem in London gelebt und war Meisterin gekonnter englischer Kommunikationstechniken („Oh, my dear, how are you doing?“). Sie hatte private Bindungen nach Stuttgart und erzählte vom Segeln auf Nord- und Ostsee. Alles Dinge, die im hausbackenen Dortmunder VDJ-Milieu Bewunderung auslösten.
Ursulas Umzug nach Dortmund, wo sie alsbald eine florierende Anwalts- und Notarkanzlei gründete, war eine Rückkehr in ihre Heimatstadt. Ihren Eltern gehörte der Bürobedarfshandel in der Saarbrücker Straße 22 im Dortmunder Gerichtsviertel. Gerne erzählte Ursula im Freundeskreis, wie sie als Kind von ihren Eltern losgeschickt worden ist, um bei Kunden ausstehende Raten einzusammeln („Wir schicken Ihnen unsere Ursel vorbei“). Ein Dortmunder VDJ-Kollege erinnert sich, wie er 1964 seinen Vater begleitete, als dieser bei Bückers die Olympiaschreibmaschine Marke „SM9“ erwarb.
Ursulas Eintritt in die praktizierende Juristenszene hat Folgen, in Dortmund und über Dortmund hinaus. Sie verfasst alsbald (zusammen mit dem Richter Walter Schramm) einen Aufsatz zum Thema „Die Rechtsprechung zu den `Radikalen im Öffentlichen Dienst´- eine verfassungswidrige Überreaktion?“. Der Aufsatz wird Grundlage einer Veranstaltung der VDJ zum Thema „Berufsverbote“ mit großem Echo. Teilnehmer sind u.a. das damals bundesweit bekannte Berufsverbotsopfer Hans Meister und der Vorsitzende des Dortmunder Anwaltsvereins Dr. Manfred Möhlmeier. Ursula vertritt die VDJ-Dortmund bei der Anti-Apartheid-Bewegung, für die die VDJ-Dortmund zuvor DM 1.000,— (eintausend DM) gesammelt hatte.
1986 leitet sie die Dortmunder VDJ-Delegation bei der IVDJ-Tagung in Paris. Ab 1986 gehört sie der Redaktion des VDJ-Forums an, der VDJ-Mitgliederzeitung, die nicht zuletzt unter Ursulas Mitwirkung ihren publizistischen Höhepunkt erreicht. Ursula initiiert einen gender-gemäßen Namensänderungsantrag der Satzung des Dortmunder Anwalt- und Notarvereins. Sie bereitet maßgeblich mit anderen Dortmunder Kolleg*innen eine VDJ-Gedenkveranstaltung in Dortmunds „Steinwache“ vor, dem Ort von NS-Verbrechen und spricht auf der 1987 veranstalteten Tagung „Dritte Gewalt im Wandel?“ zu den „Perspektiven demokratischer Rechts- und Berufspraxis“.
Von 1987 bis 1992 ist sie stellvertretende Bundesvorsitzende der VDJ. 1993 gründet sie die Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt (EJDM) mit und ist viele Jahre als Vorstandsmitglied Schatzmeisterin der Vereinigung.
Nach 1991 in Brandenburg als Notarin tätig, verteidigt sie als SPD-Juristin in einem Parteiausschlussverfahren das SPD-Mitglied Klaus Eschen (gelegentlicher Redner auf VDJ-Veranstaltungen, ehemaliger RAV-Vorsitzender, früherer Berliner Verfassungsrichter und Notar in Teltow), weil dieser zur Bundestagswahl für den Grünen Hans-Christian Ströbele geworben hatte.
Die Aufzählung von Ursula Bückers Tätigkeiten ließe sich fortsetzen. Es muss hier genügen, auf ihren größten und nachhaltigsten Erfolg zu verweisen. Ursula Bücker gelingt das, wovon Menschen träumen. Vorgeschichte: Am 05. Dezember 1986 erscheint in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Artikel von Marion Gräfin Dönhoff: „Der vergessene Opfergang - Eine Mutter kämpfte gegen Hitler“. Es geht um den Rechtsanwalt Hans Litten, der am 5. Februar 1938 im KZ Dachau seinem Leben ein Ende setzt, nach fast fünfjähriger KZ-Haft. In der VDJ hat dieser Artikel große Wirkung und führt auf Anregung des damaligen Bundesvorsitzenden Norman Paech zur Einrichtung des „Hans-Litten-Preises“. Ursula Bücker reicht dies nicht. Über die Bezirksvertretung Dortmund-Innenstadt-Ost gelingt es ihr in jahrelanger Kleinarbeit, die Stadt Dortmund dazu zu bewegen, einen Teil der Saarbrücker Straße umzubenennen, wo sich 1989 das Hauptgebäude der Dortmunder Staatsanwaltschaft befindet. Dieser Teil der Saarbrücker Straße wird zur „Hans-Litten-Straße“. In seinem Nachwort zum Buch „Eine Mutter kämpft gegen Hitler“ von Irmtraud Litten beginnt Heribert Prantl mit dem lapidaren Satz: “In Dortmund gibt es eine Hans-Litten-Straße, in Berlin auch.“
Welch schönes Vermächtnis hat uns Ursula Bücker, die jetzt im Alter von 70 Jahren verstorben ist, hinterlassen. Wir werden Ursula Bücker in liebender und ehrender Erinnerung behalten.
H. Gerry Tannen
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