Pressemitteilung

Arbeitskreis Arbeitsrecht: "Arbeitsschutz nur wenn‘s nicht stört?"

DAV will Höchstarbeitszeiten abschaffen - Stellungnahme des Arbeitskreises Arbeitsrecht der VDJ vom 21.03.2023, abgestimmt und angenommen von den Teilnehmenden der Frühjahrstagung des Arbeitskreises am 18.03.2023 in Frankfurt am Main

Arbeitsschutz nur wenn‘s nicht stört? Haben angestellte Rechtsanwält:innen kein Recht auf Schutz durch das Arbeitszeitgesetz?

Der Ausschuss Arbeitsrecht des DAV macht sich mit einer Stellungnahme Nr. 14/2023 zum Thema „Arbeitszeitrecht für angestellte Anwält:innen“ mit seiner Forderung, Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten für diesen Personenkreis abzuschaffen, zum wiederholten Mal zum Sprachrohr von Wirtschaftskanzleien gegen die eigene Mitgliedschaft. Passenderweise geht das sog. Forum für Wirtschaftskanzleien im DAV in seiner wohl nicht zufällig parallel versandten Einlassung (siehe DAV-Depesche Nr. 10/23) so weit, vom Gesetzgeber zu verlangen, alle über der rentenrechtlichen Beitragsbemessungsgrenze verdienenden Anwält:innen ganz aus dem Geltungsbereich des ArbZG herauszunehmen. Damit wird orchestriert, was der BDA („Die Arbeitgeber“) noch weitergehend durchsetzen will, nämlich alle Arbeitnehmer:innen, die angeblich „eigenverantwortlich“ ihre Arbeit erbringen, komplett von jeder Art der Arbeitszeiterfassung „zu befreien“!

Und diese Forderungen nach Abschwächung, ja am besten Abschaffung von elementaren Arbeitsschutzstandards werden erhoben, obwohl das Bundesarbeitsgericht (Entscheidung vom 13.09.2022– 1 ABR 22/21) unter Bezugnahme auf den EuGH (Entscheidung vom 14.05.2019 – C-55/18) und die dahinterstehende Fundierung in einem europäischen Grundrecht (Art. 31 Abs. 2 EuGrCH: Grundrecht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und Ruhezeiten) gerade erst für alle Arbeitgeber:innen die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeiten als fundamentales Element des Ge-sundheitsschutzes klargestellt hat. Die Gefahr, bei Arbeitszeitverstößen ertappt zu werden, nimmt damit stetig zu. Richtig so.

Da kommt es nicht von ungefähr, wenn Vertreter:innen von Großkanzleien – gleichsam als Speerspitze – die Tür beim Gesetzgeber aufstoßen möchten, Gesundheit schützende Arbeitszeitbestimmungen „zu schleifen“. Bezeichnend ist, dass gar nicht versucht wird zu argumentieren, dass es den Schutz nicht bräuchte (vgl. Backhaus, Brauner, Tisch, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (2019)73:394ff - Auswirkungen verkürzter Ruhezeiten auf Gesundheit und Work-Life-Balance bei Voll-zeitbeschäftigten: Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2017), sondern es wird behauptet, die so wichtigen Berufspflichten würden behindert. Und das müsse genügen, weil man offenbar doch so wichtig sei.

Aber sind nicht auch andere Unternehmen, z.B. Verkehrsbetriebe, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen etc. wichtig? Diese und alle anderen Branchen sind doch ebenso verpflichtet, das Arbeitszeitgesetz einzuhalten, also sich rechtmäßig zu verhalten? Das wird auch Rechtsanwaltskanzleien gelingen können, auch wenn sie sich für besonders wichtig halten.

Wenn Großkanzleien meinen, rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen, können sie versetzte Arbeitszeiten, Bereitschaftsdienst oder gar Schichtbetrieb einführen. Wenn ein:e CEO aus Übersee Weisungen an seine deutschen Anwälte/Anwältinnen erteilt, kann da ein:e Partner:in ans Telefon gehen, nicht abhängig beschäftigte, angestellte Anwält:innen. Krankenhäusern verlangt man richtigerweiseab, auch den ärztlichen Notfalldienst arbeitsschutzkonform zu organisieren, nur bestimmte Vertreter:innen unseres Berufsstandes meinen, dies gehe nicht. Unschwer kommt man da zu dem Schluss, dass hier bestimmte Vertreter:innen unseres Berufsstands halt schlicht nicht wollen.

Der DAV und seine Ausschüsse stehen ganz offensichtlich unter dem massiven Druck großer „namhafter“ Wirtschaftskanzleien. Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz in diesen Kanzleien, die mit dem praktizierten Geschäftsmodell einhergehen, sind schon seit längerer Zeit ein Thema auch in den Medien (stellvertretend: https://www.lto.de/recht/kanzleien-unternehmen/k/arbeitszeiten-grosskanzlei-teilzeit-work-life-balance-associates-generation-y/). Das Problem wird durch den „Fachkräftemangel“ und die Bedürfnisse des anwaltlichen Nachwuchses nach einer „Work-Life-Balance“ verschärft. Offenbar muss die vorhandene Arbeit zur Beibehaltung der Renditeerwartungen zunehmend auf weniger Köpfe verteilt werden, was unweigerlich zur Kollision mit Arbeitszeitgrenzen führt.

Die Erklärung wurde auf der Frühjahrstagung des Arbeitskreieses abgestimmt und angenommen

Anstatt Abschied zu nehmen von antiquierten sowie nachweislich gesundheitsschädigenden Arbeitszeitmodellen und besser nach neuen praktikablen Modellen Ausschau zu halten (einige Großkanzleien machen es erfolgreich vor), lassen sich die DAV-Führung und der Ausschuss Arbeitsrecht instrumentalisieren von einigen großen Wirtschaftskanzleien zur Rettung überkommener Geschäftsmodelle.

Unsere Überzeugung ist: Das Thema der Einhaltung der arbeitszeitgesetzlichen Schutzstandards ist unter arbeitswissenschaftlichen und gleichsam grundsätzlich-strategischen arbeitszeitrechtlichen Erwägungen gerade jetzt extrem wichtig. Denn der DAV kippt – auch dessen sich seit Jahren bewusstund zielgerichtet – über die Stellungnahme seines Ausschusses Arbeitsrecht Wasser auf die Mühlen derjenigen Kräfte, die ohnehin die genannten Schutzregelungen des Arbeitszeitgesetzes als überholt ansehen.

Wir wünschen uns daher einen DAV, der die Interessen der Anwaltschaft als Ganzes in den Blick nimmt, sich nicht an den Renditeinteressen großer Kanzleien und ihrer Auftraggeber orientiert, sondern sozialen Fortschritt und gesetzgeberische Grundentscheidungen ernst nimmt und nicht zuletzt den Gesundheitsschutz von (auch) Beitrag zahlenden angestellten Anwältinnen und Anwälten fördert und nicht dessen empfindlicher Beeinträchtigung das Wort redet. Wer Stellungnahmen, wie die desAusschusses Arbeitsrecht des DAV 14/2023, zulässt bzw. sich zu eigen macht, darf sich über Mitgliederschwund und fehlende Neuaufnahmen nicht wundern.

Wir – die Arbeitsrechtler:innen in der VDJ sowie die mehr als 140 Teilnehmer:innen der Frühjahrstagung des VDJ-Arbeitskreises Arbeitsrecht am 18.03.2023 – werden dagegen nicht müde zu betonen, wie viele sehr ernst zu nehmende Studien insbesondere von der Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin es gibt zur gesundheitsschützenden Bedeutung der (täglichen!) Höchstarbeitszeit und zur Bedeutung der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten. Wer hier Hand anlegt, gefährdet nachhaltig die Gesundheit der Beschäftigten (vgl. Backhaus, Brauner, Tisch, Zeitschrift für Arbeits-wissenschaft 73, 394 - Auswirkungen verkürzter Ruhezeiten auf Gesundheit und Work-Life-Balancebei Vollzeitbeschäftigten: Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2017). Diese unhintergehbaren Mindeststandards gelten für alle, auch für besonders gutverdienende angestellte Anwältinnen und Anwälte.

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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