hans litten

Der Mann, der Hitler bloßstellte

Für seinen Kampf gegen die Nazis zahlte Hans Litten mit dem Leben / Maren Witthoeft zum 100. Geburtstag des bekannten Anwalts in der Weimarer Republik

Die Autorin Maren Witthoeft, geboren 1966, hat Politikwissenschaften an der Freien Universität in Berlin und Journalistik in Stuttgart-Hohenheim studiert. Sie lebt und arbeitet als freie Publizistin und Mutter eines vierjährigen Sohnes in Stuttgart.

Hans Achim Litten wurde am 19. Juni 1903 in Halle an der Saale als Ältester von drei Söhnen geboren. Er entstammte einer großbürgerlichen, konservativ bis monarchisch gesinnten, angesehenen Königsberger Familie. Der Großvater väterlicherseits war Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Königsberg gewesen, die Mutter Irmgard Litten kam aus einer gebildeten Pastoren- und Professorenfamilie. Die emotionale und intellektuelle Nähe zur Mutter prägte Hans' persönliche Haltung, seine Unbeugsamkeit, wie seine politischen Anschauungen und weckte sein Interesse an Kunst, Musik und Literatur. Dass er trotz seiner musischen Begabung und seines Wunsches, Kunstgeschichte zu studieren, Anfang der zwanziger Jahre ein Studium der Rechtswissenschaft in Berlin und München aufnahm, ging auf den Einfluss des Vaters zurück. Fritz Litten war Dekan der juristischen Fakultät und zeitweilig Rektor der Königsberger Universität gewesen. Sein Haus war Treffpunkt der deutschnationalen, republikfeindlichen Prominenz der Stadt. Er war aus Karrieregründen vom Judentum zum Christentum konvertiert, was Sohn Hans als opportunistischen Akt kritisierte und sich darauf hin umso intensiver mit religiösen Themen, vor allem dem Judentum, auseinander setzte. In Opposition zum Vater festigte Hans schon in frühen Jahren seinen rebellischen Geist.

Seine Liebe zur Musik und Literatur erlosch allerdings nie, noch in der letzten Phase seines Martyriums im KZ Dachau hielt er Vorträge über Literatur und Musik und rezitierte Gedichte vor seinen Mitgefangenen.

Die Justizrealität der zwanziger Jahre bot Litten reichlich Anschauungsmaterial: der Kapp-Putsch im März 1920, der Hitler-Putsch im November 1923, das Ermächtigungsgesetz vom Dezember 1923.

1928 begann Litten nach erstklassigem Examen im Alter von 25 Jahren seine anwaltliche Tätigkeit in Berlin. Gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Ludwig Barbasch, Anwalt der "Roten Hilfe", eröffnete er eine Anwaltskanzlei am Molkenmarkt. Litten hatte im Verlauf seiner Jugend eine feine Wahrnehmung für soziale Ungerechtigkeit und Ausgrenzung, für Doppelzüngigkeit und Opportunismus entwickelt, so lag es nahe, dass er sich in seiner Strafpraxis der Opfer der Rechten annahm. Einen leichten Stand hatte er nicht, die Justiz war geprägt von der Kontinuität der alten Eliten des Kaiserreichs, die der Republik überwiegend feindlich gesinnt waren. Im beruflichen Umfeld Littens wuchs der Einfluss der Rechten, die Unparteilichkeit der Justiz geriet schleichend unter die Räder.

Littens Zivilpraxis diente in erster Linie der Sicherung des Lebensunterhalts und der Fortführung der Praxis, die wenig lukrative Strafpraxis hingegen umfasste den wesentlichen Teil seiner Arbeit. Häufig wurde bis zum Morgengrauen gearbeitet. "Morgens begann ich um etwa 10.30 Uhr, abends gingen wir ins Café, um danach weiterzuarbeiten bis zwischen 3 und 6 Uhr. Auch am Sonntag wurde gearbeitet", berichtet die heute in Stuttgart lebende 90-jährige Margot Fürst, Nachlassverwalterin des Künstlers HAP Grießhaber und zwischen 1931 und 1933 Sekretärin in Littens Berliner Anwaltsbüro. "Hans war ein zäher, unermüdlicher Arbeiter." Litten investierte viel Energie und Zeit in eigene Recherchen, auch weil er große Teile der Staatsanwaltschaft und Richterschaft der Voreingenommenheit gegenüber seinen Mandanten und der Nähe zur nationalsozialistischen Bewegung verdächtigte. Damit machte sich Litten zwangsläufig zum Feind der aufstrebenden Nationalsozialisten.

"Er brachte uns bei, dass Denken Spaß machte"

Litten war Marxist, der Marxismus half ihm, gesellschaftliche Zusammenhänge zu analysieren, von Parteien - auch der KPD - hielt er sich jedoch fern. In der Zeitschrift des deutsch-jüdischen Wanderbundes 1924 schrieb Litten: "Der Götze von dem ich sprechen will, hat viele Namen. ,Vaterland', ,Staat', ,Volk', ,Nation' - unter diesen Namen betet man ihn an … Der Nationalwahnsinn beschränkt sich nicht mehr auf die Parteien, die das Vaterland auf ihr Reklameschild geschrieben haben - auch die ,Sozial'demokratie ist davon erfasst, ja, bis weit in die Reihen der Kommunisten treibt er sein Unwesen. Wir dürfen da nicht mittun. … Einen Staat muss es bis auf weiteres geben. Wir benutzen ihn - dieser Gedanke stammt von Kurt Hiller - wie wir die Untergrundbahn benutzen. Keinem Menschen wird das Herz höher schlagen, wenn er an die Untergrundbahn denkt." Gewählt wurde nicht in den Kreisen des "Schwarzen Haufens", sie waren eher dem anarchistischen als dem kommunistischen Gedanken verpflichtet. Kurt Hiller schrieb in der "Weltbühne" über Litten: "Seine Lebensanschauung war ein eigenartiges Gemisch aus anarchosozialistischen, katholisch-absolutistisch-barocken und urchristlichen Elementen aus dem 20., 17. und 1. Jahrhundert. Er war ein präziser Jurist, ein klarer Philosoph, dabei die Güte selbst."

Max Fürst, ein Freund aus der Zeit der Jugendbewegung der 20er Jahre, charakterisiert Litten als "eher scheu, mit einer Neigung zum Mystizismus … Hans war ebenso sensibel, wie scharf denkend. Er war ein großer Anreger." Zu den Freunden Littens gehörten der Anarchist Erich Mühsam, Ernst Friedrich und Franz Pfemfert, der Herausgeber und Verleger der Zeitschrift "Die Aktion".

Hans wohnte während seiner Berliner Studienzeit mit Max in der Auguststraße, im Scheunenviertel. Max und Margot Fürst teilten mit Litten in der Koblanck-, der heutigen Zolastraße in Berlin auch jene Wohnung, aus der er am 28.März 1933 im Morgengrauen verhaftet wurde.

Margot Fürst traf Litten und ihren späteren Mann Max zum ersten Mal 1927 auf einem Bundestag der Jugendbewegung bei Nürnberg. Alle drei gehörten dem "Schwarzen Haufen" an, einer Abspaltung des deutsch-jüdischen Wanderbundes, der zu Wandervogel und Jugendpflege auf Distanz ging und sozialrevolutionäre Ideen vertrat. Litten war der intellektuelle Kopf der Jugendgruppe. "Er zitierte nächtelang aus dem Kopf moderne und klassische Gedichte und Dramen … Ausgehend von der Jugendbewegung kamen wir zu Rilke, Karl Kraus, expressionistischer Dichtung, der Auseinandersetzung mit dem Nationalismus jeder Art. … Hans brachte uns bei, dass Denken Spaß machte", schreibt Max Fürst in seiner Autobiographie.

Mit der Klinge der Prozessordnung gegen Rechts

Littens politische und berufliche Laufbahn hatte ihn früh zum Gegner des aufkeimenden Nationalismus gemacht. Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hatte ihn die Rechte im Visier, er sah sich immer häufiger Angriffen der rechten Presse ausgesetzt.

Die Strafprozesse, in denen er vornehmlich als Verteidiger angeklagter Kommunisten auftrat oder als Nebenkläger und Anwalt der Opfer rechter Gewalt, wurden in der Regel von der "Roten Hilfe", der 1924 gegründeten Rechtshilfeorganisation der KPD, finanziert. Dies verlief nicht ohne Konflikte, denn das Ziel der KPD deckte sich nicht unbedingt mit Littens Grundhaltung, stets das Individuum in den Mittelpunkt seiner Bemühungen um Gerechtigkeit zu stellen, nie jedoch Partei- oder Staatsinteressen. Littens Erfolge passten nicht ins Kalkül der KPD-Führung, so ließ die "Rote Hilfe" Litten bald kaum noch Mandate zukommen. "Der kommunistischen Agitation war mit Bluturteilen und mit Märtyrern in den Zuchthäusern gedient, nicht mit Freisprüchen und mit gerechten Entscheidungen der bürgerlichen Gerichte," kommentierte Rudolf Olden, Publizist und Rechtsanwalt, diese Entwicklung.

Littens Nebenklagetätigkeit im "Edenpalast"-Prozess und seine Verteidigung im "Felsenecke"-Prozess sind in die Justizgeschichte eingegangen. Aber bereits 1929 trat Litten mit einer Strafanzeige gegen den sozialdemokratischen Polizeipräsidenten von Berlin, Carl Friedrich Zörgiebel, hervor. Anlass war ein Verbot aller politischen Veranstaltungen unter freiem Himmel aus dem Jahr 1928, das auch für den 1. Mai 1929 nicht aufgehoben, vielmehr mit der Anweisung bekräftigt wurde, auf Demonstranten, die dieses Verbot missachten, zu schießen. Es wurde dennoch demonstriert, 30 Tote und über 100 Verletzte waren die blutige Bilanz. Es gab 1200 Verhaftungen und zahlreiche Prozesse, in denen Litten wegen Landfriedensbruchs und Aufruhr angeklagte Arbeiter verteidigte. Die Strafanzeige gegen Zörgiebel basierte auf Beweismitteln, die der "Ausschuss zur Untersuchung der Berliner Maivorgänge" - unter Beteiligung von Alfred Döblin, Heinrich Mann und Carl von Ossietzky - zusammengetragen hatte. Obgleich es nie zum Prozess gegen Zörgiebel kam, gelang es Litten öffentlich zu machen, dass die Verantwortlichkeit für die bürgerkriegsähnlichen Methoden der Polizei im Zusammenhang mit den 1. Mai-Vorkommen in den höchsten politischen Kreisen zu suchen war.

Im "Edenpalast"-Prozess von 1931, einer Zeit der politischen Instabilität und der wachsenden Gewalt von Rechts, trat Litten als Nebenklagevertreter auf. Anlass der Anklage war ein gewaltsamer Übergriff des "SA-Sturms 33" auf eine Versammlung des Arbeiterwandervereins "Falke" im Berliner Tanzpalast "Eden". Gegen vier der 20 an dem Überfall beteiligten Schläger wurde wegen Totschlags in drei Fällen, Landfriedensbruch und Körperverletzung ermittelt. Litten hatte mit Erfolg die Ladung Hitlers als Zeuge vor das Kriminalgericht Berlin-Moabit beantragt. Er wollte durch die Befragung Hitlers u.a. nachweisen, dass die Parteiführung der NSDAP Gewalttaten nicht nur duldete, sondern vielmehr mit propagandistischen Mitteln förderte und der wenige Monate vorher vor dem Reichsgericht abgelegte "Legalitätseid" der NS-Partei eine Farce war.

Dem damals gerade 27-jährigen Litten gelang es durch präzise Quellenkenntnis und Verlesung von Zitaten aus parteioffiziellen Schriften der NSDAP Hitler die legalistische Maske zu entreißen, jenem Mann, der nicht aufhörte zu betonte, so auch in der Gerichtsverhandlung am 8. Mai 1931, dass "unsere SA das strengste Gebot (hat), sich von Angriffen gegen Andersdenkende fern zu halten". Hitler wurde von Litten in einer zweistündigen Befragung derart in die Enge getrieben, dass dieser schließlich mit hochrotem Kopf in den Gerichtssaal schrie und sich vor Gericht von seinem späteren Propagandaminister Goebbels distanzieren und seine Verfassungstreue beschwören musste.

Mit dieser Bloßstellung Hitlers und seinem juristischen Erfolg - drei der Angeklagten wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, vom Vorwurf des Totschlags allerdings freigesprochen - hatte Litten sein eigenes Todesurteil besiegelte.

Doch dieses Verfahren war nicht der einzige Prozess, in dem Litten den Kern der NSDAP entlarvte und es aufgrund seiner Verteidigungsstrategie zur Verurteilung von SA-Mitgliedern kam. Es folgten bis 1933 fünf weitere Prozesse gegen Angehörige des "SA-Sturms 33".

Im "Röntgenstraßen-Prozess" waren neun Kommunisten des Totschlags aus politischen Motiven angeklagt. Anlass war ein Angriff vor einem SA-Lokal in der Röntgenstraße 12 auf eine Gruppe von Arbeitern am Abend des 29. August 1932. Zwei SA-Männer wurden verletzt, ein SA-Mann getötet. Litten konnte beweisen, das die nationalsozialistischen Zeugen nicht die Wahrheit gesagt hatten, die Verletzten und der Getötete waren Opfer ihrer eigenen Leute. Littens Mandanten wurden freigesprochen.

Litten hatte 1932, in einer Phase der Weimarer Republik, in der die durch die Regierung Papen geschaffenen Sondergerichte eine unabhängige Justiz längst ad absurdum geführt hatten, kaum noch Vertrauen in die Justiz. Er prangerte öffentlich den Beitrag der Justiz an der Zerstörung der demokratischen Legalität an. Trotzdem versuchte er offensichtlich mit allen ihm als Jurist zur Verfügung stehenden Mitteln, dem Recht auch in Zeiten der Sondergerichtsbarkeit Geltung zu verschaffen. Ein aussichtsloses Unterfangen, bedenkt man, dass allein 1932 etwa 50 000 Menschen von den Sondergerichten angeklagt wurden, Ende 1932 befanden sich an die 9000 politische Gefangene in den Gefängnissen der Republik.

1932 fand auch der "Felsenecke-Prozess" statt, in dem wiederum ein Überfall der SA auf Kommunisten zur Verhandlung stand. Das Verfahren ist benannt nach dem Ort des Geschehens, der Arbeiterkolonie Felsenecke. Auf Bewohner der Kolonie hatten 150 Mitglieder der Berliner SA in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar 1932 einen Überfall verübt, wobei ein Kommunist und ein SA-Mann ums Leben kamen. Im April wurde Anklage gegen fünf SA-Leute und 19 Bewohner der Kolonie erhoben. Litten verteidigte einen Kommunisten, dem der Mord an dem SA-Mann zu Last gelegt wurde. Der Völkische Beobachter hetzt am 11. Mai 1932: "Skandal im Felsenecke-Prozess! Der kommunistische Anwalt Litten ist ein Hohn auf jedes Rechtsempfinden. Unglaublich, dass man solche Ausführungen vor einem deutschen Gerichtshof überhaupt duldet!" Und das NS-Blatt "Der Angriff" forderte, "legt dem Anarchisten endlich das unsaubere Handwerk!"

Litten wurde als unbequemer Verteidiger nach monatelangen Verhandlungen vom Schwurgericht ausgeschlossen. Begründung: Er habe "eine hemmungslose parteipolitische Propaganda" im Prozess entfaltet. Die Schuldigen wurden nie verurteilt, im Dezember 1932 wurden die Verfahren gegen alle Angeklagten aufgrund eines Amnestiegesetzes der Schleicher-Regierung eingestellt.

Es war Littens letzter Prozess. Der von der Rechten meist attackierte und gefürchtete Strafverteidiger, ging nur noch unter Begleitschutz aus dem Haus.

Die an die Macht gekommenen Nazis nahmen im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens des "Felsenecke-Prozesses" an Litten Rache. Bereits in Gefangenschaft, wurde Litten schwer gefoltert, um ihn zur Denunziation zu bewegen. Unter der Folter nannte er Namen, widerrief aber in der selben Nacht. Litten überlebte nur knapp einen Selbstmordversuch, mit dem er sich den weiteren Folterungen und Erpressungen entziehen wollte.

Ein Mann von großer Angst - und großer Tapferkeit

Litten gehörte zu den ersten Opfern der gerade an die Macht gelangten NSDAP. Einen Tag nach dem Reichstagsbrand, am frühen Morgen des 28. Februar 1933 wurde Litten in "Schutzhaft" genommen. Als Grundlage der Verhaftungswelle, der zahlreiche politisch Andersdenkende, Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter zum Opfer fielen, diente die am selben Tag von Reichspräsident Hindenburg unterzeichnete "Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat". Diese Verordnung setzte auf unbestimmte Zeit Grundrechte außer Kraft und ließ den neuen Machthabern freie Hand, ihre politischen Gegner ohne gerichtliche Kontrolle auszuschalten. Wie exzessiv von dieser "Notverordnung" Gebrauch gemacht wurde, belegt die parteioffizielle Zahl von 27 000 "Schutzhäftlingen", die im Juli 1933 in den Gefängnissen und "wilden KZ" der Nazis saßen.

Litten wurde zunächst in eine SA-Kaserne verschleppt, um am nächsten Tag ins Gefängnis Spandau gebracht zu werden. Den einzigen Besuch, den er empfangen durfte, war der seiner Sekretärin Margot Fürst, die vergeblich versuchte, die Anwaltspraxis zu retten.

Im Lager Sonnenburg, in das Litten Anfang April 1933 verlegt wurde, war er Angehörigen jenes "SA-Sturms 33" ausgeliefert, die er während seiner Anwaltstätigkeit vor Gericht wiederholt in Bedrängnis gebracht hatte. Sie nahmen in ihrer Funktion als "Hilfspolizisten" gnadenlos Rache. Neben Litten waren zu jener Zeit auch der Anarchist Erich Mühsam und Carl von Ossietzky in Sonnenburg inhaftiert und, wie Litten selbst, schweren Misshandlungen ausgesetzt. Litten wurde nach Intervention Margot Fürsts nach Spandau zurückverlegt und von dort nach dem bereits erwähnten Selbstmordversuch in Folge der Vernehmungen in Sachen "Felsenecke"-Prozess in das Moabiter Krankenhaus eingeliefert.

Die Tortur nahm ab Oktober 1933 ihre Fortsetzung im KZ Brandenburg. Anfang 1934 wurde Litten schließlich in das Moorlager Esterwege im Emsland verlegt. Seine Mutter erstritt sich auch hier nach langem Kampf eine Besuchserlaubnis. Sie fand Litten unter großen Schmerzen und im Fieber in der Krankenbaracke des Lagers. Er wurde für drei Monate ins Krankenhaus verlegt, die Verletzungen konnten jedoch nie ganz ausheilen, das Gehör und ein Auge waren unheilbar verletzt, ein Bein blieb auf Dauer steif.

Im Juni 1934 wurde er schließlich ins KZ Lichtenburg gebracht, wo er über drei Jahre inhaftiert blieb. Er arbeitete in der Buchbinderei des Lagers und hatte die Aufsicht über die Bibliothek. Er fand gelegentlich gar die Möglichkeit, wissenschaftlich zu arbeiten, wobei sein Hauptinteresse der mittelalterlichen Literatur galt. Ein Ereignis im Lager Lichtenburg verdeutlicht, von welchem Charakter Litten war: Aus Anlass einer Feierlichkeit der Nazis sollten die Häftlinge mitfeiern, Litten entschied sich, den Text eines Liedes aus der Jugendbewegung vorzutragen - "Die Gedanken sind frei". In der letzten Strophe heißt es: "Und sperrt man mich ein in finstere Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke, denn meine Gedanken zerreißen die Schranken und Mauern entzwei: Die Gedanken sind frei!"

Das Lager Lichtenburg wurde im September 1937 aufgelöst, die Häftlinge kamen in das neu entstandene KZ Buchenwald. Buchenwald blieb für Litten jedoch nur eine Zwischenstation, im Oktober des selben Jahres erhielt die Mutter eine Karte ihres Sohnes: "Meine neue Adresse ist Dachau. Hans." Die Unterschrift "Hans", statt "Hans Achim", wie er sonst seine Briefe an die Mutter zeichnete, bedeutete: Auch hier bin ich den schweren Misshandlungen der NS-Schergen unterworfen. In Dachau war er im sog. "Judenblock" inhaftiert. Nachdem er vorher als politischer Gefangener den roten Winkel tragen musste, trug er in Dachau den gelben Stern.

Max Fürst schrieb über seinen Freund: "Hans Litten war fanatisch, wie einer, der die letzte Schlacht schlägt. Er verstand es, die Strauchelnden auf dem Drahtseil zu führen, bis es nicht mehr weiterging." Der Brutalität der Nazis hielt auch er nicht mehr Stand. Hans Litten wurde systematisch in den Selbstmord getrieben. Körperlich und psychisch am Ende, nahm Litten sich in der Nacht zum 5. Februar 1938 das Leben. Seine Mitgefangenen fanden ihn am Morgen tot im Waschraum.

Die Nazis nahmen an einem ihrer meistgehassten Feinde schonungslos Rache. Litten blieb auf Dauer in Haft, ohne dass je ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden wäre. Die Mutter Irmgard Litten wie auch der Bruder Heinz, Regisseur an der Berliner Volksbühne, unternahmen unzählige Versuche, Haftverschonung oder die Entlassung zu erreichen. Ihr unermüdlicher und mutiger Einsatz blieb trotz bester Verbindungen in etablierte Kreise ohne Erfolg. Sie intervenierte bei Reichswehrminister von Blomberg sowie beim ehemaligen Garnisonspfarrer von Königsberg, Reichsbischof Ludwig Müller, der früher in ihrem Haus verkehrt hatte. Auch beim inzwischen hohen SA-Führer Prinz August Wilhelm, einem Freund Fritz Littens, bei Wilhelm Furtwängler und der Schauspielerin und späteren Frau Görings, Emmy Sonnenmann, einer bekannten ihres Sohnes Heinz, wurde Irmgard Litten vorstellig.

Auch Roland Freisler, den späteren Vorsitzenden des Volksgerichtshofes, bat Irmgard Litten um Hilfe. Obgleich dieser Hans als einen "gewissenlosen Menschen, für den er unter keinen Umständen etwas tun werde" beschimpfte, schreibt die Mutter in ihrem Buch4, intervenierte er später doch bei Hitler. Dieser aber lief angeblich vor Zorn blaurot im Gesicht an, als er den Name Litten hörte. "Wer für Litten eintritt, fliegt ins Gefängnis", schrie Hitler Prinz August Wilhelm an, als dieser sich für die Freilassung Littens einsetzte. Es war aussichtslos, Litten auf diesem Weg frei zu bekommen. Sie alle wollten - oder konnten - nichts bewirken. Sämtliche Gnadengesuche wurden zurückgewiesen.

Ein Appell namhafter Persönlichkeiten und das Ersuchen von mehr als 100 englischer Juristen, Litten frei zu lassen, wurde im Dezember 1935 abgewiesen. Auch die Forderung der Delegierten der im Dezember 1937 in Paris tagenden "Europäischen Konferenz für Recht und Freiheit" nach Freilassung Littens blieb erfolglos, ebenso wie die Bemühungen des Direktors des Internationalen Roten Kreuzes, Carl Jakob Burckhardt.

Die Mutter kämpfte fünf Jahre um Besuchsrechte und Haftverbesserungen und um die Freilassung ihres Sohnes. Auch Max und Margot Fürst liesen nichts unversucht, um das Leben ihres Freundes zu retten. Margot Fürst reiste illegal nach Prag zu Max Brod, damals Redakteur am "Prager Tagblatt", und nach Genf zu Hannah Arendt. Ziel war es, die internationale Öffentlichkeit über den Fall Litten und die Situation in den deutschen Konzentrationslagern zu informieren.

Auch der Versuch der Fürsts und ihres Freundes Felix Hohl, Litten am 17. Dezember 1933 aus dem KZ Brandenburg zu befreien, schlug fehl. Sie waren Spitzeln der Gestapo aufgesessen und wurden verhaftet. Max Fürst und Felix Hohl wurden zunächst im Hauptquartier der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße verhört und misshandelt, Max Fürst wurde anschließend ins Columbiahaus verlegt und bis zur Entlassung im Februar 1934 im KZ Oranienburg inhaftiert, wo zu dieser Zeit auch Erich Mühsam inhaftiert und schwersten Folterungen ausgeliefert war, die er nicht überlebte. Im Februar 1934 wurde Max Fürst entlassen. Seine Frau Margot Fürst blieb bis September 1934 im Untersuchungsgefängnis in der Barnimstraße inhaftiert und erhielt - ebenso wie Felix Hohl - im Zuge der "Hindenburgamnestie" Haftverschonung.

Max und Margot Fürst verließen noch 1934 mit ihren beiden Kindern Deutschland Richtung Palästina. 1950 kehrten sie in die Bundesrepublik zurück. Irmgard Litten emigrierte mit ihrem Sohn Heinz im Februar 1938 über die Schweiz und Frankreich nach London. Ihre Wohnung wurde Sammelpunkt politisch aktiver Emigranten. Der Vater, inzwischen auch er als Jude von der Universität vertrieben, folgte ihnen 1939 und verstarb kurze Zeit später. 1949 kehrte Irmgard Litten nach Deutschland zurück. Im Ausland als Symbol des anderen Deutschland geehrt, fand sie hier wenig Verständnis, sie wurde als "Landesverräterin" behandelt, die ihr zustehende Rente wurde ihr verwehrt. Schließlich ging sie resigniert nach Ost-Berlin; sie habe das Betteln satt, schrieb sie an Max Fürst.

Spuren

Als "ungeheuerliche Zumutung" hat Margot Fürst den Versuch bezeichnet, im Zuge der Straßenumbenennungen in Ost-Berlin 1992 auch den Namen Litten aus dem Stadtbild zu tilgen. Die am Stadtgericht Berlin verlaufende Littenstraße sollte auf Antrag der CDU umbenannt werden in "An der Klosterkirche". Margot Fürst schrieb in einem Brief an die damalige Berliner Senatorin für Justiz, Jutta Limbach: "Ich bin empört und entsetzt, dass es in der Bundesrepublik möglich sein soll, einen Kämpfer gegen Hitler und seine Bande schon vor 1933, der dafür von der Nacht des Reichstagsbrandes an bis zum Ende in Dachau am 5. Februar 1938 durch die KZs geschleift und mehrfach gefoltert wurde, die Ehrung zu bestreiten." Es kam nicht zur beantragten Umbenennung.

Heute gibt es neben der Berliner Hans-Litten-Straße auch in anderen Städten der alten Bundesländer Straßen, die den Namen des Juristen tragen. In der Berliner Hans-Litten-Straße befindet sich heute das Hans-Litten-Haus, in dem seit Januar 2001 das Berliner Büro der Bundesrechtsanwaltskammer untergebracht ist. Auch am Geburtshaus in Halle erinnert eine Gedenktafel an Hans Litten.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2003
Dokument erstellt am 17.06.2003 um 15:44:01 Uhr
Erscheinungsdatum 18.06.2003

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