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Mitteilung

Dankrede von Dr. Heinrich Hannover

Liebe Ingrid Müller-Münch!

Ich danke dir für deine schöne Laudatio, die ich eigentlich mit einer Laudatio auf dich erwidern müßte. Vor allem für deine Veröffentlichungen zu Nazi-Juristen, die in der Justiz der Bundesrepublik ihre Rolle als furchtbare Juristen fortsetzen durften, ist dir gar nicht genug zu danken. Gerade auch im Zusammenhang mit dem Thälmann-Mordprozeß, von dem ich gleich noch reden will, hat ein Aufsatz von dir die aufsehenerregende Antwort darauf gegeben, warum das Verfahren gegen die Mörder des KPD-Vorsitzenden fast 40 Jahre lang verschleppt worden ist, bevor die Anklage gegen einen der Mörder erzwungen werden konnte. Du hattest ermittelt, daß die Akte, „immer wieder in unmittelbarer Nähe von Menschen landete, die ... dem Naziregime in treuer Pflichterfüllung gedient hatten.“


Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde !

Ich danke Euch für die Verleihung des Hans-Litten-Preises, eine Ehrung, über die ich mich sehr freue. Hans Litten ist für mich, seit ich von ihm weiß, ein großes Vorbild gewesen. Ein Anwalt, der sich als Verteidiger auch für Kommunisten, die entschiedensten Gegner der Nazis, eingesetzt hat, deren politische Haltung er in anderer Hinsicht nur mit Vorbehalten teilen konnte. Aber um gerechte Urteile gerade auch für sie zu kämpfen, war ihm Herzenssache. Das verbindet mich mit ihm.

Ich glaube, dem Andenken dieses mutigen Kollegen, dessen Leben in einem KZ der Hitler-Faschisten zu Ende gegangen ist, am ehesten gerecht zu werden, wenn ich über einen Prozeß berichte, in dem es um die Sühne für den Mord an Ernst Thälmann ging, der in der Nacht vom 17. zum 18. August 1944 auf Befehl Hitlers im KZ Buchenwald von SS-Funktionären erschossen worden ist. Und zwar will ich den Schluß meines Plädoyers vor dem Landgericht Krefeld vom 24. April 1986 vortragen, das in einem Buch „Reden vor Gericht“ veröffentlicht werden soll, für das ich noch einen Verleger suche.

Wie das Gericht auch immer entscheiden mag, es wäre zu wenig, wenn die politische Erkenntnis, die aus diesem Verfahren gewonnen würde, nur die wäre: Hier ist ein Angeklagter seiner gerechten Strafe zugeführt worden oder entgangen. Ich meine, daß dieser Prozeß mehr bringen muß. Der Angeklagte Otto ist ja nur einer von vielen Tausenden, die den faschistischen Staatsterror gegen Menschen des deutschen Volkes und anderer Völker ausgeübt haben. Das eigentlich Erschreckende an dem historischen Sachverhalt, der in diesem Prozeß noch einmal aus der allgemeinen Verleugnung und Verdrängung ins öffentliche Bewußtsein geho-ben wurde, ist nicht die Tatsache, daß es Verbrecher wie Hitler, Himmler, Heydrich und Kal-tenbrunner gegeben hat, erschreckend ist die Tatsache, daß sich in unserem Volk auf allen Ebenen dieser Mörderhierarchie die nötigen Mitwirkenden gefunden haben, die ihren Platz mit einem Gefühl von Pflichterfüllung ausfüllten, wie sie jeden anderen Job ausgefüllt hätten, und nicht auf die Stimme ihres Gewissens hörten, die ihnen eine solche Art von Pflichterfül-lung hätte verbieten müssen. Der Angeklagte hat, wie Tausende von Angeklagten vor ihm, seine mörderische Tätigkeit als Normalität, als alltägliche Pflichterfüllung begriffen. Er war kein Exzeßtäter, sondern ein ganz normaler, den Gesetzen und Befehlen der jeweiligen Obrig-keit ergebener Technokrat, der die Pistole mit der gleichen kühlen Gelassenheit handhabte wie die Schreibmaschine. Diese Normalität des Verbrechens, die Banalität des Bösen, wie Hannah Arendt sie genannt hat, sollte die Generationen nach Hitler hellhörig machen, wenn wieder staatliche Gewalt als Normalität ausgegeben wird. Wir sollten Verbrechen staatlicher Hierarchien nicht erst dann als solche brandmarken, wenn sie nach einem verlorenen Krieg zusammengebrochen sind, sondern ihnen schon dann in den Arm fallen, wenn sie noch verhindert werden können. Der Zusammenbruch des faschistischen Regimes unter den Schlägen der Anti-Hitler-Koalition war ein Glücksfall der Geschichte, weil es im historischen Maßstab nur selten vorkommt, daß Inhaber staatlicher Ämter für ihre Taten als Kriegsver-brecher zur Rechenschaft gezogen werden.

Hitler und seine als Kriegsverbrecher vom Nürnberger Internationalen Militärgerichtshof abgeurteilten Mittäter sind als historische Figuren tot. Aber den Typus gibt es noch. Im Februar 1933 mußte immerhin noch ein Reichstagsgebäude in Brand gesetzt werden, heute ge-nügt schon eine brennende Diskothek, - das habe ich 1986 gesagt, heute würde ich noch andere Gebäude nennen -, um imperialistischen Staatsterror auf die Spitze zu treiben und unschuldige Menschen zu töten. Grenada, Nicaragua und Libyen – auch hier wären heute weitere Staaten zu nennen - sind die bisher letzten Stationen eines Weges, der wiederum zum Kriege führen kann und Millionen zu Mittätern neuer Verbrechen machen könnte. Denn auch den Typus Wolfgang Otto gibt es noch.

Was wir heute noch als Normalität empfinden, ist vielleicht schon ein Schritt in einen Abschnitt deutscher Geschichte, der von der nächsten Nachkriegsgeneration, wenn es sie geben sollte, als die Zeit der Vorbereitung des zweiten Massenverbrechens dieses Jahrhunderts definiert werden könnte. Und jeder von uns wird als mitschuldig gelten, der nicht seinen Beitrag zum Widerstand gegen eine Obrigkeit geleistet hat, die wieder einmal mit dem Feuer spielt. Der Abschnitt deutscher Geschichte, den dieser Prozeß noch einmal in einem seiner finstersten Winkel ausgeleuchtet hat, ist dazu geeignet, die Generationen nach Hitler wachsa-mer und kritischer gegen das Gewaltmonopol des Staates nach innen und nach außen zu machen, als es die Generation des Wolfgang Otto war.

Und noch eines könnte dieser Prozeß bewirken. Er könnte das seit Hitlers Machtantritt systematisch verschüttete, kollektive Gedächtnis der Arbeiterbewegung neu beleben. Wer weiß denn heute noch, daß es vor allem Kommunisten und linke Sozialdemokraten waren, die Widerstand gegen den Faschismus geleistet und massenhaft in Konzentrationslagern und anderen Hinrichtungsstätten des faschistischen Staates einen gewaltsamen Tod erlitten haben. Das wird im öffentlichen Bewußtsein seit Jahren unterdrückt, weil es nicht in eine politische Landschaft paßt, in der die antikommunistische Kreuzzugsmentalität der Hitler-Zeit mit neuer Etikettierung überleben konnte. Ich darf an die skandalöse Behandlung eines Antrages des Kuratoriums „Gedenkstätte Ernst Thälmann“ erinnern, im Hamburger Rathaus eine Erinnerungstafel für jene 18 Bürgerschaftsabgeordneten anzubringen, die durch das NS-Regime ermordet wurden. Das offizielle Hamburg scheute sich, ins öffentliche Bewußtsein zurück-zurufen, wie groß der Anteil der von den Faschisten ermordeten kommunistischen Abgeordneten war. Man wollte nur die anonyme Zahl, nicht aber die Namen und die Parteizugehörigkeit auf der Ehrentafel nennen. Hier sind sie:

Dr. Max Eichholz (Deutsche Staatspartei)
Dr. Kurt Adams (SPD)
Adolf Biedermann (SPD)
Dr. Theodor Haubach (SPD)
Otto Schumann (SPD)
Etkar André (KPD)
Bernhard Bästlein (KPD)
Gustav Brandt (KPD)
Hugo Eickhoff (KPD)
Ernst Henning (KPD)
Hermann Hoefer (KPD)
Franz Jacob (KPD)
Fritz Lux (KPD)
Adolf Panzner (KPD)
August Schmidt (KPD)
Theodor Skorzisko (KPD)
Hans Westermann (KPD) und
Ernst Thälmann (KPD).

Schon die Nazis wußten, daß das kollektive Gedächtnis der Arbeiterbewegung ein wesentlicher Bestandteil von Klassenbewußtsein ist, und sie begannen deshalb frühzeitig, das kollektive Gedächtnis an den kommunistischen Arbeiterführer Thälmann auszulöschen.

(Ich zitierte an dieser Stelle einen erhalten gebliebenen Kassiber, den Thälmann Anfang 1944 an einen Bautzener Mitgefangenen geschrieben hatte, in dem er von der Beschlagnahme seiner Briefe in der Wohnung seiner Frau berichtete. Zur Begründung hatten die Beamten ausgeführt, daß dieBriefe, wenn sie später einmal der Öffentlichkeit bekannt werden sollten, eine große Wirkung auf die Leser ausüben könnten)

Und die Nazis brachten Thälmann auch um die Chance, sich und die kommunistische Partei in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung gegen den Vorwurf hochverräterischer Betätigung zu verteidigen. Sie wußten, daß Thälmann zum öffentlichen Ankläger ihrer Verbrechen geworden wäre, wie es ihnen mit Dimitroff im Reichtagsbrandprozeß passiert war. Eine Anklage des Oberreichsanwalts wurde erstellt, ein Termin zur Hauptverhandlung war schon festgesetzt. Tatsächlich aber kam es nicht zu einer Hauptverhandlung, weil das faschistische Regime die Öffentlichkeitswirkung des Verfahrens scheute. Thälmann mußte schließlich nach 11 Jahren Haft heimlich umgebracht werden.

Dieser Krefelder Prozeß sollte ein Stück Gerechtigkeit nachholen, die dem lebenden Ernst Thälmann vorenthalten worden ist.

Nach sechsmonatiger Hauptverhandlung, am 15. Mai 1986, verurteilte das Krefelder Gericht den Angeklagten Wolfgang Otto zu vier Jahren Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Mord an Ernst Thälmann. Zwar folgte das Gericht der BGH-Rechtsprechung, indem es Otto nicht als Täter, sondern nur als Gehilfen an einer von Adolf Hitler zu verantwortenden Tat schuldig sprach. Und es wich auch insofern nicht vom rechten Wege ab, als es die Schreibstuben-funktion des Angeklagten nicht genügen ließ, sondern seine Überzeugung begründete, daß der Angeklagte durch persönliche Anwesenheit und Mitwirkung am Ort der Erschießung schuldig geworden sei. Aber daß ein Nazi-Gewaltverbrecher überhaupt verurteilt wurde, war ein Ereignis, das in der Presse ganz überwiegend zustimmend kommentiert wurde. „Es gibt noch Richter in dieser Republik“ (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt), „In Krefeld sprach eine neue Richtergeneration Recht“ (Die Zeit) und „Das Vertrauen in die deutsche Justiz darf nach diesem überraschenden Urteil gegen den ehemaligen SS-Schergen Wolfgang Otto wieder steigen“ (Westfälische Rundschau“) – um nur ein paar Stimmen zu zitieren.

Hatten die Krefelder Richter ihr Urteil durch getreuliche Befolgung der Rechtsprechungs-grundsätze des BGH gegen eine Aufhebung im Revisionsverfahren sorgfältig abgesichert, so hatten sie an anderer Stelle eine verwundbare Blöße gelassen, indem sie das genaue Datum der Mordtat offenließen. Sie schrieben „zwischen dem 14. und 24. August 1944“ ins Urteil, obwohl die klare Aussage des Zeugen Zbigniew Fuchs und anderer Zeugen eindeutig die Nacht vom 17. zum 18.August 1944 als Tatzeitpunkt ergeben hatte. Und da sah der BGH die Chance, auch dem NS-Gewaltverbrecher Wolfgang Otto zum Freispruch zu verhelfen. In für ein Revisionsgericht unzulässiger Einmischung in die Beweiswürdigung des Tatgerichts stellten die BGH-Richter die Überlegung an, daß der Angeklagte sich „während der in Betracht kommenden Zeit (aus dienstlichen oder privaten Gründen) nicht im Lager aufgehalten haben und von einem anderen SS-Angehörigen vertreten sein“ könne. Also ein Wink an den Angeklagten, sich eine neue Schutzbehauptung auszudenken, auf die er selbst noch nicht gekommen war. Und man verwies die Sache zur erneuten Hauptverhandlung an ein anderes Gericht, eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf, bei der, wie sich zeigen sollte, eine andere Gesinnung herrschte als bei der Krefelder Strafkammer.

Der Angeklagte griff selbstverständlich die ihm empfohlene Schutzbehauptung auf und behauptete in der Düsseldorfer Hauptverhandlung, er habe anläßlich seines Geburtstages am 23. August 1944 Besuch von seiner Frau gehabt. Sie sei eine Woche dagewesen sei, er wisse nicht mehr genau, ob vor oder nach seinem Geburtstag, und habe in einem Hotel in Weimar gewohnt, wo er sie jede Nacht vom Dienstschluß bis zum Wecken aufgesucht habe.

Diese Schutzbehauptung ließ sich jedenfalls für die Nacht vom 17. zum 18. August 1944 widerlegen. In den Fernschreibbüchern des KZ Buchenwald, die der Kollege Dr. Matthäus aus Archivbeständen der DDR beschaffte, fanden sich Eintragungen von der Hand Wolfgang Ottos, die keinen Zweifel daran ließen, daß er zur Tatzeit in seinen üblichen Funktionen tätig gewesen war. In der Nacht vom 17. zum 18. August 1944 hatte Otto zu drei verschiedenen Zeitpunkten Eingänge abgezeichnet.

Wir glaubten nach dem Gang der erneuten Beweisaufnahme, in der auch der Zeuge Zbigniew Fuchs noch einmal vernommen worden war, uns auf den Beweis beschränken zu können, daß Otto in der Nacht vom 17. zum 18. August 1944 im KZ Buchenwald anwesend war. Auch für andere Nächte des Zeitraums, in dem der Angeklagte bei seiner Frau genächtigt haben wollte, wäre derselbe Beweis möglich gewesen. Aber das Düsseldorfer Gericht, das nach dem Gesetz zu umfassender Aufklärung auch ohne Anträge der Verteidigung verpflichtet gewesen wäre, schwieg wohlweislich, um uns im Urteil mit der Feststellung zu überraschen, daß es nicht mit letzter Sicherheit davon ausging, daß Thälman in der Nacht vom 17. zum 18. August 1944 umgebracht worden ist. Im Urteil las man, daß die Kammer keinerlei Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen Fuchs habe, aber dennoch seine Aussage über den Tatzeitpunkt ihren Feststellungen nicht zugrundelegen könne. Der Hinweis auf seinen Geburtstag wäre nach Überzeugung der Kammer nur dann eine zuverlässige Gedächtnisstütze, wenn die Tat an diesem Tag selbst geschehen wäre. Lägen mehrere Tage zwischen dem Geburstag und dem weiteren Ereignis, so könne sich die Anzahl der dazwischenliegenden Tage im Laufe der Zeit in der Erinnerung verschieben.

Die Ermordung Thälmanns war für den Zeugen Fuchs, ebenso wie für andere Zeugen, ein so eindrückliches Ereignis seiner Häftlingszeit, daß es einer zusätzlichen Gedächtnisstütze überhaupt nicht bedurft hätte. Das mußte auch Richtern klar sein, die sich nicht dem Verdacht aussetzen wollten, sich selbst nur solche Geschichtsdaten merken zu können, die zufällig auf ihren Geburtstag fallen. Aber wenn die Richtung stimmt, ist kein Argument zu dumm. Dem BGH gefiel das Urteil, mit dem die Freispruchsserie in Nazi-Verbrecherprozessen noch zu einem Zeitpunkt fortgesetzt wurde, als man deren Peinlichkeit allmählich auch justizintern zu bemerken begann. Aber erst, als es keine Naziverbrecher mehr treffen konnte, rang man sich beim Bundesgerichtshof wenigstens partiell zu einem öffentlichen Bekenntnis seines Versagens durch (Urteil vom 16.11.1995).

Das war auch zweckmäßig, weil es nunmehr um die Aburteilung von DDR-Unrecht ging. Da wären die Rechtsgrundsätze hinderlich gewesen, die man entwickelt hatte, um Nazi-Gewaltverbrecher der Strafe zu entziehen. Denn DDR-Bürger, die im Vertrauen auf die Verbindlichkeit der Gesetze ihres Staates als Soldaten oder Richter oder in anderen Funktionen zu dessen Schutz tätig waren, sollten bestraft werden. Obwohl ihnen nichts mit den Massenmorden der Nazi-Verbrecher Vergleichbares vorzuwerfen war. Zwar ist die Generation der Nazi-Richter ausgestorben, aber ihr antikommunistischer Eifer hat sie im herrschenden Zeitgeist überlebt. Zum Glück hat auch Hans Littens Geist überlebt.

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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