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Mitteilung

Dankrede von Felicia Langer

Ich möchte meine tiefe Dankbarkeit gegenüber Ihrer Organisation, der Vereinigung Demokratischer Juristen in Deutschland, aussprechen, daß ich hier jetzt stehe und den Preis, der an Hans Litten erinnert, empfange. Dieser Mann ist mir, nachdem, was ich heute von Ihnen gehört habe, plötzlich ganz nah. Ich stelle mir vor, wie er im Gericht von Berlin auftritt, ich sehe, wie er bestrebt ist, das Recht gegen die Nazimaschinerie durchzusetzen, wie er versucht, mit den Mitteln des Rechts gegenüber der Bestialität und Roheit ein Mindestmaß an Gerechtigkeit zu erreichen.

Es gibt Situationen, die nicht vergleichbar sind. Wenn ich jedoch hier von den Kindern höre, deren Eltern seit 40 Jahren vergeblich Gerechtigkeit fordern, dann kann ich nicht die leblosen Körper der Kinder vergessen, der Kinder in Gaza, Jerusalem, Hebron und Ramallah. Neue Verbrechen werden begangen. Ich sehe sie ständig vor mir. Die Gedanken daran verlassen mich auch jetzt nicht, und ich verstehe die Unnachgiebigkeit von Hans Litten. Er war voll Energie und Kraft, weil er das Leiden und die Ungerechtigkeit nicht ertragen konnte.

Leiden und Ungerechtigkeit gibt es heute in den von Israel besetzten Gebieten Palästinas. Dort ist soviel Blut vergossen worden. Ich bin stolz, daß die neue deutsche Generation, die gegen Faschismus und Neofaschismus kämpft, mich mit dem Preis dafür ehrt, daß ich Palästinenser verteidige, die für viele Jahre vergessen waren, die erst jetzt, da sich die ganze Nation gegen die Besetzung erhebt, Aufmerksamkeit erhalten. Die Aufmerksamkeit geht weit über die Grenzen Israels hinaus. Sogar in der Bundesrepublik gibt es Artikel, Alarmmeldungen und Informationen, und ich hoffe, daß die Stimme der [leidenden Bevölkerung gehört wird.

Liebe Freunde und Kameraden, ich bin eine Überlebende des Naziholocaust; mein Ehemann ist sogar noch stärker betroffen. Gleichwohl kann ich nicht verschweigen, daß der israelische Staat seit Jahren die deutsche Bevölkerung, die deutsche Regierung erpreßt, daß seit Jahren das Blut unseres Volkes benutzt wird, um Immunität und freies Spiel - eine Art „carte blanche" - dafür zu bekommen, daß ein anderes Volk gefoltert, gepeinigt und enteignet wird.

Ich verstehe den Preis, den ich heute erhalte, als ein Symbol dafür, daß die Menschen mit Vernunft und Gewissen in Ihrem Land verstehen, daß sie sich auch anderswo an vorderster Front für Menschlichkeit einsetzen müssen. Als menschliche Wesen sind wir verpflichtet, für Wohlergehen und Glück aller Menschen auf der Erde zu kämpfen. Wir können nicht lachen und glücklich leben, wohl wissend, daß auf unserem Planeten Menschen in schrecklichen Verhältnissen leben, daß ihnen grundlegende Menschenrechte vorenthalten werden, daß Tausende von Menschen zu Unrecht in Gefängnissen sitzen, daß so viele Menschen gefoltert und gequält werden; wohl wissend, daß sich zur gleichen Zeit Kinder vor Tankwagen und Panzer werfen, weil ihr Leben kein Leben ist.

Ich habe versucht, diesen Menschen alles zu widmen, was ich besitze, sie zu verteidigen, mit ihnen zu sein und der Welt die Wahrheit über sie zu verkünden und zu offenbaren. Diesen Preis, Sie und die Persönlichkeit von Hans Litten werden mir neue Kraft und neuen Mut geben.


Anmerkung:
Übersetzung aus dem Englischen von Rechtsanwältin Ursula Bücker.
Die Dankesrede ist entnommen: "VDJ Forum 1/88"


Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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