Erklärung

Die Opfer des Naziterrors dürfen nicht missbraucht werden für antikommunistische Propaganda

Erklärung der VDJ zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust

Das Europaparlament hat am 19. September 2019 eine Resolution verabschiedet mit dem Titel „Bedeutung der europäischen Erinnerung für die Zukunft Europas“. In dieser Erklärung wird breit auf die Verbrechen des Nazi-Terrors und des stalinistischen Terrors eingegangen und eine Verbindung zwischen beiden hergestellt. Die Sowjetunion wird durch den Abschluss des Molotow-Ribbentrop-Paktes für den 2. Weltkrieg und für die in seinem Verlauf begangenen Verbrechen verantwortlich gemacht.

Warum halten es die Urheber der Resolution für notwendig, die unbestrittenen Verbrechen der Naziterrors und des stalinistischen Terrors in einer gemeinsamen Erklärung abzuhandeln und auf diese Weise die Einzigartigkeit der Shoah zu relativieren? Erst durch die konstruierte Verbindung von Naziterror und stalinistischem Terror haben es die Initiatoren geschafft, eine breite Allianz im Europaparlament herzustellen. Die Mitte-Links Kräfte im Parlament wollten nicht gegen eine Erklärung stimmen, welche die Opfer des Naziterrors würdigt.

Durch diese Verbindung zweier im Ursprung sehr unterschiedlicher Vorgänge wird der falsche Eindruck erweckt, ursächliches Bindeglied für beide Verbrechensgruppen sei der Totalitarismus, eine wissenschaftlich unhaltbare Theorie. Dies ist eine beliebte Geschichtskonstruktion konservativer Historiker*innen. Sie ignoriert allerdings die von „freiheitlichen“ und „demokratischen“ Staaten, wie z.B. den USA und den europäischen Staaten begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit z.B. in Vietnam, Irak, Indonesien oder Afrika. Gibt es eine Rechtfertigung dafür, diese Verbrechen nicht zu erwähnen? Was ist das theoretische Bindeglied zwischen diesen Verbrechen?

Stalinistische Verbrechen wurden zwar 1956 auf dem 20. Und 22.Parteitag von der KPdSU politisch verurteilt. Eine umfassende historische und juristische Aufarbeitung dieser Verbrechen fand in der Sowjetunion nicht statt. Auch nach dem Tod Stalins erfolgte die Abschaffung der Gewaltherrschaft in den sozialistischen Ländern nur zögerlich und widersprüchlich.

Dennoch verkennt der Hinweis in der EU-Resolution auf das Nürnberger Tribunal völlig den historischen Zusammenhang, aus dem heraus dieses Tribunal entstanden ist. Die Sowjetunion war von den Alliierten das Land, welches die größten Opfer im Kampf gegen die Naziaggression erbracht hat. Sie hat maßgeblich zur Entwicklung der Nürnberger Prinzipien beigetragen. Die stalinistischen Verbrechen erfolgten in einem anderen politischen Zusammenhang und waren auch 1945 noch nicht beendet.

Wenn es dem Europaparlament darum geht, der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu gedenken, dann dürfen die Verbrechen, der sich demokratisch und freiheitlich rühmenden Staaten nicht unerwähnt bleiben. Wann haben die USA und die europäischen Staaten die von ihnen verantworteten Verbrechen in Asien, Afrika und Lateinamerika verurteilt? Ein fortbestehendes Problem in zahlreichen Staaten ist die fehlende gerichtliche Aufarbeitung all dieser Verbrechen. China, Indien, Israel, Russland, Türkei und die USA weigern sich auch heute noch, sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verantworten.

Geht es den Initiatoren der Erklärung im Europaparlament tatsächlich um eine juristische Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen und um eine Verhinderung solcher Verbrechen in der Zukunft? Oder geht es ihnen darum, demokratische Bewegungen gegen rechten Terror zu bekämpfen und die Handlungsspielräume für rechtsextremistische Politik zu erweitern?

Durch den Hinweis auf den Hitler-Stalin-Pakt bzw. Ribbentrop-Molotov-Pakt wird versucht, den Eindruck einer Interessengemeinschaft und ideologischen Verwandtschaft zwischen den Nationalsozialisten und Kommunisten zu erwecken. Eine solche Verwandtschaft hat es niemals gegeben. Die Verbrechen der einen Seite stehen mit den Verbrechen der anderen Seite nur in einem sehr begrenzten Zusammenhang, der sich in erster Linie auf die Besetzung der nach dem erzwungenen Frieden von Brest-Litowsk unabhängig gewordenen baltischen Länder und Ostpolens beschränkt.

Neben der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Europa gehörte die Vernichtung kommunistischer Herrschaft und der kommunistischen Bewegung zu den obersten Zielen von Nazi-Deutschland. 27 Mio. Tote allein in der Sowjetunion sind der tragische Beweis dafür. Durch den Hinweis auf diesen Molotow-Ribbentrop-Pakt wird vielmehr versucht, die Schuld der Naziführung am zweiten Weltkrieg zu relativieren. Lange vor dem Abschluss des Paktes mit der Sowjetunion hat die Naziführung auf die Schaffung von Rahmenbedingungen für einen Krieg gegen die Sowjetunion hingearbeitet. Hitlers „Mein Kampf“ kündigt das bereits an. Bereits 1934 hatte Polen mit Nazideutschland eine Nichtangriffserklärung unterzeichnet. Die Sowjetunion bemühte sich zeitgleich um den Abschluss eines europäischen Verteidigungsbündnisses. Spätestens mit dem Münchener Abkommen von 1938 mussten diese Bemühungen als gescheitert angesehen werden. Mit den von Frankreich, Italien und Großbritannien auf Kosten der Tschechoslowakei befürworteten völkerrechtswidrigen Grenzrevisionen zugunsten Deutschlands und Polens erfolgte eine konkrete Unterstützung der aggressiven Pläne der Naziregierung.

Die Initiatoren der EU-Resolution ignorieren auch die großen Opfer, welche die Kommunisten in Deutschland und allen besetzten Ländern erbracht haben, die Verfolgung und Ermordung durch die Faschisten, der sie ausgesetzt waren, sowie deren Beitrag für die Befreiung vom Faschismus. Sie leugnen die hervorragende Rolle der Sowjetunion für die Befreiung Europas vom Faschismus.

Durch die Gleichsetzung von Naziverbrechen und stalinistischen Verbrechen und die daraus abgeleitete Forderung nach einem generellen Verbot kommunistischer Symbole, begibt sich das EU Parlament in die Gefahr zur Verletzung der Menschenrechte aufzurufen. Heutige kommunistische Organisationen und deren Symbole können auf keinen Fall gleichgesetzt werden mit den stalinistischen Verbrechen. Es handelt sich um Organisationen, deren Aktivitäten und Symbole durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert sind. Die in einigen EU Staaten gegen diese Organisationen vorgenommenen Repressionen stehen nicht im Einklang mit der EMRK.

Die größte Bedrohung der Demokratie, der Menschrechte und der sozialen Gerechtigkeit in der Europäischen Union sind heute rechtspopulistische, rechtsextremistische und auch neoliberale Bewegungen und Organisationen, die sich durch Antikommunismus, Antisemitismus und Rassismus hervortun und eine solidarische Struktur der Gesellschaft bekämpfen. Die zunehmende Missachtung bis hin zur Zerstörung rechtsstaatlicher Strukturen gehört dazu. Darauf sollte das Europaparlament eine Antwort finden, statt sich für anti-kommunistische Propaganda und die Relativierung der Naziverbrechen nutzen zu lassen.


Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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