Laudatio an Tirza Flores Lanza
von Ingrid Heinlein
Vor zwei Jahren hat Ingrid Müller-Münch ihre Laudatio für Heinrich Hannover mit einem fröhlichen Kindergedicht des damaligen Preisträgers begonnen. Auch ich beginne mit einem Gedicht. Der honduranische Dichter Roberto Sosa hat es für Menschen wie Tirza Flores Lanza verfasst
Ich trage es zunächst auf Spanisch vor. Diejenigen, die diese schöne Sprache nicht verstehen, wird hoffentlich der Rhythmus und die Melodie erfreuen. Die Übersetzung klingt leider etwas holprig.
Dibujo a pulso
A como dé lugar pudren al hombre en vida,
le dibujan a pulso
las amplias palideces de los asesinados
y lo encierran en el infinito.
Por eso
he decidido –dulcemente-
-mortalmente-
construir
con todas mis canciones
un puente interminable hacia la dignidad, para que pasen,
uno por uno,
los hombres humillados de la Tierra.
Freihandzeichnung
Wenn er es zulässt, wird der Mensch zu Lebzeiten verdorben.
Er wird mit der weiten Blässe der Ermordeten gezeichnet
und in der Unendlichkeit eingesperrt.
Deshalb habe ich mich entschieden,
-sanft-
-sterblich-
mit allen meinen Liedern
eine endlose Brücke zur Würde zu bauen,
damit die gedemütigten Menschen der Erde
einer nach dem anderen
darüber gehen.
Ich habe dieses Gedicht zum ersten Mal im Mai 1991 gelesen. Es war auch das erste Mal, dass ich nach Honduras gereist bin. Die honduranische Menschenrechtsorganisation CODEH feierte ihr zehnjähriges Bestehen und hatte den zweiten Teil des Gedichts auf dem Deckblatt ihrer Zeitschrift abgedruckt.
Tirza Flores Lanza war damals 26 Jahre jung. Einige Jahre später, 1995, wurde sie Staatsanwältin und 1997 Richterin.
Wie und wann auch immer sich der Wunsch, Richterin zu werden, in ihr entwickelt hat: ich bin sicher, sie kannte die Gedichte von Roberto Sosa, und ich stelle mir auch vor, dass sie von Anfang an entschlossen war, ihre Würde im honduranischen Justizbetrieb nicht aufzugeben.
Als Richterin in Honduras einen aufrechten Gang zu gehen, dazu gehört viel Zivilcourage.
Honduras ist eines der drei ärmsten Länder Lateinamerikas. In der lateinamerikanischen Armutsskala nimmt Haiti den letzten Platz ein, die beiden Plätze davor teilen sich Honduras und Nicaragua. Das kleine Land hat nur etwa 8 Millionen Einwohner. Aber die Bevölkerung wächst rapide: vor zehn Jahren betrug die Einwohnerzahl noch 6 Millionen. Ca. 60 % der honduranischen Bevölkerung hat ein Einkommen, das unter der offiziellen Armutsgrenze liegt. Zugleich ist das Volkseinkommen extrem ungleich verteilt: 40 % der Bevölkerung muss sich 10 % des Volkseinkommens teilen und 10 % der Bevölkerung bezieht 40 % des Volkseinkommens.
Einen extrem ungünstigen Rang nimmt Honduras auch in den Skalen zum Ausmaß von Korruption und Gewalt ein. Im von Transparency International erstellten Korruptionsindex belegt das Land einen der letzten Plätze in der Rangfolge der lateinamerikanischen Staaten. Die Mordrate von Honduras war im Jahr 2009 mit 67 Menschen pro 100.000 Einwohner sogar eine der höchsten weltweit.
In der Stadt, in der Tirza Flores Lanza lebt, San Pedro Sula, haben vor einigen Wochen zwei oder drei Bewaffnete eine kleine Schuhfabrik gestürmt und 18 der 25 Arbeiter mit Sturmgewehren erschossen. Die Toten sind junge Arbeiter im Alter zwischen 17 und 24 Jahren. Derartige Massaker sind keine Seltenheit. Jugendbanden, Drogenhandel, “gewöhnliche” Kriminalität, alles in einem erschreckend hohen Ausmaß: Tirza Flores Lanza hat diese honduranische Realität als Strafrichterin besonders nah erlebt.
Hinzu kommt die Gewalt, die vom Militär oder der Polizei oder Militärangehörigen oder Polizeiangehörigen ausgeübt wird. Vor einigen Jahren wurde über die Grenzen von Honduras hinaus bekannt, dass für etwa 12-16 % der Morde an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Polizeibeamte verantwortlich waren. Am Putsch gegen den Präsidenten Zelaya im vergangenen Jahr war das Militär beteiligt. Es war in den 80ger Jahren mit seinem berüchtigten Bataillon 316 für das Verschwindenlassen von wirklichen oder vermeintlichen Kommunisten, für Mord und Folter verantwortlich. Nun nahm es einen vom Volk gewählten Präsidenten fest und verschleppte ihn nach Costa Rica. Über die Gewalt, die nach dem Putsch vom Regime Micheletti ausging, wurde in deutschen Medien viel berichtet, so dass ich darauf nicht näher eingehe.
Manches spricht dafür, dass nun, nach den Neuwahlen im November 2009, mit Gegnern des Putsches abgerechnet wird. Es wurden zahlreiche Angehörige der Widerstandsbewegung, die sich nach dem Putsch gebildet hat, ermordet. Eine große Zahl von Gewaltakten richtet sich gegen Journalisten. Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden 10 Journalisten ermordet. Die Organisation “Reporter ohne Grenzen” bezeichnet das Honduras des Jahres 2010 als das für Journalisten gefährlichste Land der Hemisphäre neben Mexiko.
Als ich im Jahr 1991 das erste Mal nach Honduras gereist bin, konnte ich einen ersten Eindruck von der honduranischen Justiz in einem Gespräch mit einem Richter des Obersten Gerichts gewinnen. In den Jahren davor hatte ich Gelegenheit, die Justiz in Nicaragua etwas kennen zu lernen. Ziemlich enttäuscht davon, dass die sandinistische Führung an der Herstellung richterlicher Unabhängigkeit nicht interessiert war, erwartete ich von der Justiz des Nachbarlandes, von dem aus die Contra hatte operieren können, auch nicht viel. Ich wurde leider auch nicht eines Besseren belehrt. Die honduranischen Richter, die ich in den 90ger Jahren kennen lernte, erschienen mir alle ängstlich, zurückhaltend, nicht an einem Gespräch mit mir interessiert. Das sind zugegebenermaßen sehr subjektive Eindrücke.
Sie passen aber zu den objektiv feststellbaren Leistungen dieser Justiz, die u.a. einer Studie von Zinecker, Politikwissenschaftlerin an der Universität Leipzig, entnommen werden können.
Hier einige, aus dem Englischen übersetzte Zitate, die auch die Staatsanwaltschaft beleuchten:
“Im Vergleich mit dem übrigen Mittelamerika hat Honduras den niedrigsten Grad an richterlicher Unabhängigkeit nach Nicaragua…..
Die Auswahl der Richter am Obersten Gericht, aber auch für die Justiz allgemein, bleibt weiter hoch politisiert und funktioniert nicht nach den Prinzipien des Wettbewerbs sondern nach politischer Freundschaft, besonders mit dem Präsidenten des Obersten Gerichts. Das Oberste Gericht setzt sich heutzutage mehr oder weniger zu gleichen Teilen aus Repräsentanten der PN und der PL (Nationale Partei und Liberale Partei, d. Verf.) zusammen…. .
…Honduras hat einen hohen Grad an Straflosigkeit und sich hinschleppende gerichtliche Verfahren. Von den angezeigten Fällen …werden etwa 15 % an die Untersuchungsabteilung zur Untersuchung weitergeleitet. Das sind ziemlich exklusive Fälle, in denen die Täter auf frischer Tat ertappt werden. So werden die anderen 85 % der Fälle nicht einmal Gegenstand irgendeiner Untersuchung. Da bei Tötungsdelikten die Täter so gut wie nie in flagranti erwischt werden, beträgt der Grad der Straflosigkeit auf diesem Gebiet …nahezu 100 %.
Ein Schlüssel für die fehlende Effizienz der Staatsanwaltschaft liegt in der Korruption, die hier vorherrscht…
Leitende Staatsanwälte sorgen dafür, dass diejenigen, die rigoros gegen Korruption vorgehen, die Staatsanwaltschaft verlassen müssen und inkompetente Personen … auf den untergeordneten Stellen beschäftigt werden.”
Aber unter der Oberfläche brodelte es in der honduranischen Justiz.
Zur selben Zeit wurde der Druck des Volkes gegen die Machteliten stärker.
Und auf einmal schlossen sich die Richterinnen und Richter zusammen, die für eine bessere Justiz kämpfen und sich nicht länger anpassen wollten.
Am 12. August 2006 wurde als Organisation der Richter und Richterinnen die “Asosiación de Jueces por la Democracia en Honduras” gegründet, der inzwischen rund 1/5 der Richterinnen und Richter angehören. Tirza Flores Lanza gehört zu den Gründungsmitgliedern. Eine Vorläuferorganisation gab es seit dem 12. September 2005.
Sie legten sogleich los.
Sie übermittelten der Interamerikanischen Menschenrechtskommission bei der Organisation Amerikanischer Staaten eine umfangreiche Ausarbeitung zur richterlichen Unabhängigkeit in Honduras und baten um eine Anhörung. In der schriftlichen Stellungnahme wird mit vielen Details geschildert, wie die richterliche Unabhängigkeit, die auch in der honduranischen Verfassung garantiert ist, in der Realität konterkariert wird.
Ich nenne nur einige Stichworte:
Anstellung von Richtern, die sich nicht an den Auswahlprüfungen beteiligen mussten;
Fehlen von Kriterien für Beförderungen;
Versetzungen ohne Zustimmung der Betroffenen;
Disziplinarmaßnahmen gegen missliebige Richter;
häufige Einmischung seitens der politischen Parteien, die entweder subtil oder direkt fordern, dass bestimmte Fälle in ihren Sinn entschieden werden;
ebenso häufige Einmischung von prominenten Unternehmern, entweder unmittelbar oder über Abgeordnete des Parlaments oder Beamte der Regierung.
Im Juli 2007 fand die Anhörung vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission statt. Aus deren Pressemitteilung geht hervor, dass die Vertreter des honduranischen Staates die vielfältigen Einmischungen nicht bestritten und sich lediglich darauf berufen haben, es würden Maßnahmen zur Problemlösung unternommen.
Man braucht nicht viel Phantasie, um zu ermessen, dass sich die “Richter für die Demokratie” mit dieser Aktion in Honduras mächtige Feinde geschaffen haben.
Im Frühjahr 2008 trat eine Gruppe von Staatsanwälten in der Hauptstadt Tegucigalpa am Parlamentsgebäude in den Hungerstreik. Sie forderten den Rücktritt des Generalstaatsanwaltes und die Überprüfung der Akten bestimmter Ermittlungsverfahren, die sie auf Weisung hatten einstellen müssen, durch eine unabhängige Stelle. Tirza Flores Lanza schloss sich dem Hungerstreik an.
Der Hungerstreik bewegte das ganze Land. Es fanden große Demonstrationen zur Unterstützung der Streikenden statt, die Medien berichteten ausführlich, Unterschriftenaktionen wurden organisiert. Ich war zu dieser Zeit gerade in San Pedro Sula und konnte mir so einen guten Eindruck verschaffen.
Nach mehr als einem Monat wurde der Hungerstreik ergebnislos abgebrochen. Kurz darauf wurden Disziplinarverfahren gegen Tirza Flores Lanza und einige andere Richterinnen und Richter wegen angeblicher Dienstpflichtverletzungen bei der richterlichen Tätigkeit eingeleitet.
Tirza Flores Lanza ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Als am 28. Juli 2009 das Oberste Gericht einen Haftbefehl gegen den Präsidenten Zelaya erließ, weil dieser eine Volksbefragung über die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung durchführen wollte, erklärte sie öffentlich, dass der Haftbefehl rechtswidrig sei. Sie legte eine Haftbeschwerde ein und reagierte auf die Verschleppung des Präsidenten mit einer Strafanzeige. Deshalb wurde sie vom Obersten Gericht entlassen. Ihr wird vorgeworfen, gegen das für Richter geltende Verbot der Rechtsberatung verstoßen zu haben. Art. 183 der honduranischen Verfassung bestimmt jedoch, dass jede Person auch zugunsten einer anderen die Verletzung verfassungsmäßiger Rechte geltend machen kann.
Entlassen wurden auch drei weitere Richter: Adán Guillermo Lopez Lone und Luis Chevez de la Roche, weil sie an Demonstrationen gegen den Putsch teilgenommen haben; Ramón Enrique Barrios, weil er in einer öffentlichen Versammlung und in einer Tageszeitung erklärt hat, die Verhaftung und Verschleppung des Präsidenten sei rechtwidrig.
Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass Tirza Flores Lanza und ihre Kollegen mit ihrer Beschwerde bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte oder dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte Erfolg haben und sie bald in ihre Ämter zurückkehren können. Dazu ist nicht zuletzt erforderlich, dass der internationale Druck auf Honduras anhält.
Ich freue mich sehr, dass meine Kollegin aus Honduras heute den Hans-Litten-Preis erhält. Sie hat mit viel persönlichem Mut für den Rechtsstaat und eine bessere Justiz in Honduras gekämpft und ist damit ein Beispiel an Zivilcourage für andere Richter und Richterinnen nicht nur dort und in den Nachbarländern sondern auch hier bei uns in Europa. Der Preis mit diesem Namen wird ihr helfen, im “Kampf um das Recht” nicht aufzugeben.