Mitteilung

Nicht nur schlecht gemacht, sondern auch falsch gemeint - Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen spricht sich klar gegen ein sog. Tarifeinheitsgesetz aus

Seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 07. Juli 2010, in dem es die bisherige Rechtsprechung zur sog. Tarifeinheit aufgegeben hat, wurden verschiedentlich Versuche unternommen, den alten Rechtsprechungszustand durch gesetzgeberische Aktivitäten wieder herzustellen. Ein erster Versuch ist vor einiger Zeit am Widerstand der gewerkschaftlichen Basis, insbesondere bei ver.di, gescheitert.
Nun liegt ein in 1. Lesung bereits in den Bundestag eingebrachter Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. In der Bundestagsdebatte am 05.03.2015 versicherten sich namhafte Vertreter der Koalitionsparteien und Frau Nahles als zuständige Ministerin, dass es Ihnen um den „Betriebsfrieden“ gehe und ohne dass sich die im jeweiligen Betrieb am stärksten  vertretene Gewerkschaft durchsetzen würde, die Tarifautonomie „bedroht“ bzw. „beeinträchtigt“ wäre. Die Reaktion der DGB-Gewerkschaften auf den Entwurf ist gespalten. Vor allem IG BCE und IGM unterstützen das Vorhaben; ver.di, GEW und NGG lehnen es ausdrücklich ab.
Die VDJ spricht sich  gegen ein Tarifeinheitsgesetz aus. Dies gilt sowohl in Bezug auf den vorliegenden Gesetzentwurf als auch im Hinblick auf den Versuch, Gewerkschaftspolitik durch Gesetze zu machen.

1.    Es ist bereits äußerst fraglich, ob der vorliegende Gesetzentwurf verfassungsrechtlichen Ansprüchen genügt. Überzeugende Argumente sprechen dafür, dass durch ein solches Gesetz und die in der Begründung klar formulierte Absicht, den Streik der jeweiligen Minderheitengewerkschaft für rechtlich unzulässig, da unverhältnismäßig, zu erklären, mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Koalitionsfreiheit unvereinbar ist. Nahezu alle bekannt gewordenen juristischen Stellungnahmen – gleich, welcher politischen Überzeugung die Gutachter anhängen oder wer sie beauftragt hat – halten den vorliegenden Gesetzentwurf für verfassungswidrig. Selbst die gutachterliche Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kommt zum gleichen Ergebnis.
Die VDJ schließt sich den verfassungsrechtlichen Bedenken an; sie hält den Gesetzentwurf für einen unzulässigen Eingriff in die Koalitionsfreiheit von Arbeitnehmervereinigungen. Es ist nicht ersichtlich, wie der vorliegende Gesetzentwurf die Hürde der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht nehmen könnte.

2.    Gleichzeitig bestünde die nicht unerhebliche Gefahr, dass die Verfassungsrichter bei einer Prüfung des Gesetzes Vorgaben dort machen, wo insbesondere nach Auffassung der Arbeitgeberverbände und maßgeblicher Kräfte in der CDU/CSU die Reise hingehen soll, nämlich in Regelungen zur gesetzlichen „Einhegung“ des Arbeitskampfrechts.  In diesem Zusammenhang muss nur auf die Versuche konservativer Kräfte in Wirtschaft und Politik verwiesen werden, die seit langem unter Zuhilfenahme ihrer juristischen „Zuträger“ eine massive Einschränkung des Streikrechts fordern; dementsprechende Anforderungen und Vorschläge liegen auf dem Tisch. Erst jetzt hat der CSU-Parteivorstand ein Papier verabschiedet, in dem insbesondere in den Bereichen der Daseinsvorsorge – wie eng oder wohl eher weit auch immer dieser Begriff definiert werden mag – eine obligatorische Schlichtung und die Vorankündigung von Streiks etc. gefordert wird. Wenn durch das vorgelegte Tarifeinheitsgesetz erst einmal  das Streikrecht der Minderheitengewerkschaften mindestens faktisch eingeschränkt wurde, so stellt es  dann keinen größeren Schritt mehr dar, das Streikrecht insgesamt unter gesetzliche Bedingungen und Einschränkungen zu stellen. Ankündigungsfristen für Streik, Zwangsschlichtung etc.sind die Stichworte.
Es ist nicht nachvollziehbar weshalb die Vorstände einzelner DGB-Gewerkschaften vor dem Hintergrund dieser Gefahren, das Gesetzesvorhaben positiv begleiten. Derzeit bieten die DGB-Gewerkschaften leider ein in dieser Frage zutiefst zerstrittenes Bild.

3.    Dies gilt umso mehr, als keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung besteht. Auch nach der eingangs zitierten Entscheidung des BAG bedarf es keiner gesetzlichen Regelung zur Lösung tariflicher oder gar gewerkschaftlicher Konkurrenzen. Weder kam es nach der BAG-Entscheidung zu der teilweise befürchteten  Gründungswelle neuer tariffähiger Gewerkschaften, noch haben die in der Bundesrepublik ohnehin außerordentlich geringen Streikaktivitäten zugenommen. Einzelne Auseinandersetzungen in Betrieben und Unternehmen zwischen bestehenden, miteinander konkurrierenden Gewerkschaften hat es bereits früher schon gegeben, sie sind in der Regel politisch gelöst worden. Insoweit ist zum einen auf das DGB-Schiedsgericht und zum anderen auf die politische Auseinandersetzung mit Spartengewerkschaften bzw. Klientelvereinigungen zu verweisen. Wenn deren  Eindämmung heute in einigen Bereichen nicht mehr so gut gelingt, wie das früher möglich war, verweist dies eher auf eine politische und organisatorische Schwäche der bestehenden Gewerkschaften bei der Vertretung dieser Berufsgruppen. Hier den Staat zur Problemlösung zu Hilfe zu rufen, ist nur ein weiterer Ausdruck desselben Problems.

4.    Nicht nachvollziehbar sind die Argumente von Befürwortern  aus Gewerkschaftskreisen auch im Hinblick auf eine faktische Schwächung ihrer eigenen Position. Es dürfte nicht selten sein, dass auch die „großen“ Gewerkschaften in einzelnen Betrieben in der Minderheit sind. Dies führt letztlich bei dem Fokus auf „Betriebe“ zu einer Stärkung von Klientelgewerkschaften oder gar arbeitgebernahen Strukturen. Die Definition des Betriebs, wer dazu gehört und wer nicht, liegt in der Dispositionsbefugnis der Arbeitgeber. Sie können durch Umstrukturierungen ihrer Betriebe letztlich Gewerkschaftszuständigkeiten steuern.

5.    Gleichzeitig stellt dieses Gesetz mit seinem Bezug auf den Betrieb den Flächentarifvertrag als zentrales Regelungsinstrument nachhaltig in Frage und greift damit massiv in die bisherigen Regelungsstrukturen (Branche, Unternehmen…) von Gewerkschaften ein. Auch dies stellt keinen „handwerklichen Fehler“ des Gesetzes dar, sondern ist aufgrund der politischen Setzungen („ein Betrieb, ein Tarifvertrag“) systemimmanent.

6.    Auf die handwerklichen Probleme wurde vielfach – auch in den vorgelegten wissenschaftlichen Gutachten - hingewiesen. Sie reichen von dem völlig offenen und nicht definierten Betriebsbegriff bis hin zur Frage, wie denn überhaupt ein  Nachweis für mehrheitliche Repräsentanz der konkurrierenden Gewerkschaften innerhalb des jeweiligen Betriebes justitiabel erfolgen soll. Noch immer gilt der gerade wieder höchstrichterlich abgesicherte Tatbestand, dass niemand – auch nicht im Arbeitskampf – seine Gewerkschaftszugehörigkeit offenlegen muss.

7.    Die VDJ erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass das deutsche Streikrecht in seiner richterrechtlichen Ausgestaltung bereits jetzt erheblich hinter internationalen, menschenrechtlich abgesicherten Standards zurückbleibt. Das betrifft zunächst die Beschränkung des Streikrechts auf das Ziel der Erkämpfung von Tarifverträgen. Damit wird der „politische Streik“ mit dem Ziel, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen per Gesetz zu verändern, de facto verboten. Das gleiche gilt für das  undifferenzierte Streikverbot für die gesamte Statusgruppe der Beamten. Zu Recht haben u.a. der Europarat noch im Januar 2015 (1)  und die Internationale Arbeitsorganisation zuletzt in ihrem Sachverständigenbericht 2012 (2)  darin Verletzungen der menschenrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik gesehen.(3) Vor dem Hintergrund sich rapide ändernder, zunehmend zersplitterter Arbeitsorganisation und prekarisierter  Arbeitsverhältnisse wäre es dringend geboten, die Möglichkeiten des Arbeitskampfs der Kollektivorganisationen der Arbeitnehmer erheblich auszubauen. Der Gesetzentwurf weist hier in eine Richtung, die der Zielsetzung einer demokratischen Organisation der Arbeit und damit wesentlichen Zielen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats entgegenwirkt.

All dies zeigt: Das Gesetzesvorhaben ist nicht nur schlecht gemacht, es ist auch in der Zielsetzung für Arbeitnehmerinteressen schädlich. Es wird sowohl juristisch  als auch rechtspolitisch der falsche Weg eingeschlagen. Die VDJ plädiert dafür, den Gesetzesentwurf vom Tisch zu nehmen!
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1) Zuletzt European Committee of Social Rights, European Social Charter. Conclusions XX-3 (2014) (Germany), Januar 2015: „German law pertaining to collective action, based on Article 9 para. 3 of the Constitution as interpreted by the courts, still forbids strikes which are not concerned with the conclusion of collective agreements. Since its first conclusion (Conclusion I (1969)), the Committee has found this prohibition to be in conflict with Article 6§4 of the Charter. […]Since the situation had not changed during the successive reference periods examined in its Conclusions XV-1 (2001), XVI-1 (2003), XVII-1 (2005), XVIII-1 (2006) and XIX-3 (2010), the Committee reiterated its conclusion to the effect that the ban in German law on all strikes not aimed at achieving a collective agreement was contrary to Article 6§4 of the 1961 Charter.“
2) Das Committee of Experts der Internationalen Arbeitsorganisation rügt Deutschland regelmäßig für die Nichtbeachtung des von Deutschland ratifizierten ILO-Übereinkommens 98. So heißt es zuletzt im Sachverständigenbericht 2012, S. 158: „The Committee further notes that, according to the Government‟s report, employees in the public service (Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes), e.g. teachers employed under collective agreements in the education services of the Länder, do enjoy the right to bargain collectively, whereas civil servants (Beamte) do not have the right to bargain collectively because the legislative regulation of the civil service is a constitutionally endowed traditional principle of the civil service under article 33(5) of the Basic Law and because civil servants (Beamte) have the duty to exercise their functions lawfully, impartially and altruistically. […]Recalling that, according to Article 6 of the Convention, public service workers who are not engaged in the administration of the State, including teachers, should enjoy the right to collective bargaining, the Committee once again requests the Government to indicate in its next report the measures taken or envisaged to explore, together with the trade union organizations concerned, ways in which the current system could be developed so as to give full effect to the principles enounced above.“
3) Einen umfassenden Überblick über die einschlägigen Menschenrechtsabkommen und die Rügen an die Bundesrepublik hinsichtlich des Beamtenstreikrechts bietet Detlef Hensche in Däubler, Arbeitskampfrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 76 ff.

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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