Stellungnahme

Stellungnahme der VDJ vom 30.08.2013 zum Versammlungsrecht in Schleswig-Holstein

Der Gesetzentwurf der FDP und die Änderungsanträge der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW sowie der Fraktion der CDU erfüllen nach Auffassung der VDJ nicht die Erwartungen an ein Versammlungsrecht, das die Versammlungsfreiheit stärkt, neue Entwicklungen im Versammlungsgeschehen aufnimmt und die unmittelbare Partizipation am öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess stärkt.

Vorbemerkung:

Der Gesetzentwurf der FDP und die Änderungsanträge der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW sowie der Fraktion der CDU erfüllen nach Auffassung der VDJ nicht die Erwartungen an ein Versammlungsrecht, das die Versammlungsfreiheit „als unentbehrliches Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens“ und „Stück ursprünglicher ungebändigter unmittelbarer Demokratie“ (BVerfGE 69, 315/ 347) stärkt, innovativ neue Entwicklungen im Versammlungsgeschehen aufnimmt und niederschwellig die unmittelbare Partizipation am öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess fördert. Der FDP-Entwurf und auch die Änderungsanträge orientieren sich weitgehend am Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes, aber auch an anderen Ländergesetzen, die – im Unterschied zum VersammlungsG des Bundes – durch übersteigerte detaillierte Regelungsdichte Versammlungen als gefahrengeneigte und mit hohen Sicherheitsrisiken behaftete Veranstaltungen definieren und durch umfassend kompakte Regulierung und damit auch Kanalisierung, weite polizeiliche Eingriffsbefugnisse ermöglichen („Kontrollstellen“, § 15; „Bild- und Tonübertragungen und –aufzeichnungen, § 16; „Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot“, § 17).

Hiervon hebt sich insbesondere der Entwurf der Fraktion der PIRATEN ab.

Die Stellungnahme der VDJ beschränkt sich auf Versammlungen auf öffentlichen und allgemein zugänglichen Verkehrsflächen (1.), Kennzeichnungspflicht der Polizei bei Versammlungen (2.), Bild- und Tonaufnahmen und  -aufzeichnungen (3), Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot/ Strafrechtsbestimmungen (4).

1. Versammlungen auf öffentlichen und allgemein zugänglichen Verkehrsflächen

Die Versammlungsfreiheit ist nicht auf den öffentlichen Straßenraum beschränkt, sondern maßgeblich ist, inwieweit allgemein zugängliche Verkehrflächen als kommunikative Räume (u. a. Flughäfen, Bahnhöfe, Einkaufszentren, Ladenpassagen und sonstige Begegnungszentren) erschlossen und eröffnet sind (BVerfG, 1 BvR 699/06 vom 22.2.2011, Rdnrn. 66-68). Dies gilt nicht nur dort, wo eine unmittelbare Grundrechtsbindung des Staates besteht, sondern auch Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können.

Die versammlungsrechtliche Klarstellung im Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW im neu einzufügenden § 17, wonach auch Verkehrsflächen in Privateigentum für öffentliche Versammlungen zugänglich sein sollen, soweit die betreffende Fläche ausschließlich oder mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht, schöpft den vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Rahmen im Unterschied zum Änderungsantrag der PIRATENFRAKTION in § 2a nicht voll aus.

Die VDJ befürwortet den Änderungsantrag der PIRATEN in § 2a Satz 1, weil das Versammlungsrecht gerade den öffentlichen Informations- und Meinungsaustausch an allgemein zugänglichen Orten der Kommunikation ermöglichen soll und zum Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG neben der Bestimmung über Zeit, Art und Inhalt der Versammlung auch die Bestimmung des Ortes gehört (BVerfG 69, a.a.O, S. 343). Die  nachfolgende Einschränkung im Änderungsantrag der PIRATEN in  § 2a Satz 2 wird dagegen abgelehnt.

2. Kennzeichnungspflicht der Polizei bei Versammlungen

Keine der vorliegenden Gesetzesentwürfe spricht sich für eine umfassende Kennzeichnungspflicht der VollzugsbeamtInnen der Polizei bei Versammlungen aus. Dabei würde eine solche sowohl dem öffentlichen Interesse, als auch dem Grundrechtsschutz der VersammlungsteilnehmerInnen zuträglich sein.

Vorab soll auf ein Grundproblem in der politischen Debatte um diese Frage hingewiesen werden. Sie wird zum Teil emotional geführt, eine Kennzeichnungspflicht wird bisweilen als Angriff auf die moralische und rechtliche Integrität der Polizei verstanden. Dabei geht es jedoch gerade nicht darum PolizeibeamtInnen grundsätzlich zu unterstellen, VersammlungsteilnehmerInnen verletzen zu wollen, sondern zu verhindern, dass dieser Eindruck durch eine fehlende nachträgliche Aufklärung von Straftaten erweckt wird. Die Diskussion sollte insoweit objektiviert werden. Das Ziel ist es, für die Aufklärung der Verletzung von Rechtspositionen eine rechtliche Grundlage zu schaffen. Hierzu kann eine Kennzeichnungspflicht beitragen.

Das Versammlungsrecht soll die Ausübung des Versammlungsgrundrechts mit dem Schutz anderer Verfassungsgüter, etwa kollidierenden Grundrechten Dritter und der öffentlichen Sicherheit, in Einklang bringen. Hierzu gehört allerdings auch, dass die weiteren Grundrechte der VersammlungsteilnehmerInnen vor unzulässigen Eingriffen geschützt werden müssen. Zu nennen ist hier insbesondere das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Übergriffe gegen VersammlungsteilnehmerInnen müssten – wenn ihnen nicht bereits präventiv begegnet werden kann – jedenfalls im Nachhinein (straf-)rechtlich aufgearbeitet werden können.

Bei Versammlungen besteht  aufgrund der oft an Vermummung grenzenden Uniform bei der Identifizierung von PolizeibeamtInnen ein Rechtsschutzdefizit. Auch wenn eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung grundsätzlich möglich ist und Körperverletzungen oft durch polizeiliches Videomaterial dokumentiert sind, ist eine zweifelsfreie Identifizierung der handelnden BeamtInnen häufig nicht möglich. Strafanzeigen werden deshalb entweder gegen Unbekannt oder – wegen geringer Erfolgsaussichten – gar nicht gestellt. Dass es sich hierbei nicht um ein theoretisches Problem handelt, wird von Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International schon seit langer Zeit vorgebracht (Amnesty International Deutschland, Positionspapier Kennzeichnungspflicht, online abrufbar unter www.amnestypolizei.de/sites/default/files/imce/pfds/PP_Kennzeichnungspflicht_2010_0.pdf).

Es ist zudem ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen VersammlungsteilnerhmerInnen einerseits und PolizeibeamtInnen andererseits bei der Ahndung von Straftaten erkennbar. Anders als BeamtInnen stehen den VersammlungsteilnehmerInnen auch nicht die Mittel der Strafprozessordnung zur Verfügung, um die Identität mutmaßlicher Täter vor Ort festzustellen. Im Gegenteil würde die (rein theoretisch) einzig mögliche Ausübung des Festnahmerechts aus § 127 StPO bei realistischer Betrachtung zu einem Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gem.      § 113 StGB führen.

Das häufig gegen eine Kennzeichnungspflicht vorgebrachte Argument, durch die gewährleistete Erkennbarkeit der Einheit, der ein Beamter/eine Beamtin angehört, sei ein Bedürfnis zur Kennzeichnung nicht gegeben, greift nicht durch. Denn auch in diesem Falle bedarf es einer Rekonstruktion, welche/r konkrete Beamte/-in in der Situation gehandelt hat. Gelingt diese nicht, geht dies potentiell zulasten des Rechts und der BürgerInnen. Ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG erfordert es, dass zumutbare Maßnahmen getroffen werden, um ihre Rechte zu schützen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat darüber hinaus in diversen Verfahren die Verpflichtung der Konventionsmitgliedsstaaten festgestellt, dass gem. Art. 2 i.V.m. Art. 1 EMRK angemessene und wirksame amtliche Ermittlungen durchzuführen sind (EGMR NJW 2005, 3405 (3408); ÖJZ 2000, 474).

Ferner betont der Europäische Kodex für Polizeiethik des Europarates die persönliche Verantwortlichkeit und die Rechenschaftspflicht von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen für ihr eigenes Tun und Unterlassen (Europäischer Kodex für Polizeiethik, Europarat 19.09, 2001, Rec (2001) 10, Nr. 16).

Wirksame Ermittlungen sind allerdings nur dann möglich, wenn die relevanten Tatsachen auch ermittelt werden können.

Korrespondierend hierzu ergibt sich auch aus dem Grundgesetz eine Pflicht des Staates, Straftaten zu verfolgen. Hieraus mag sich keine unmittelbare verfassungsrechtliche Verpflichtung ergeben, eine Kennzeichnung von PolizistInnen einzuführen. Dem Gedanken einer effektiven Verfolgung von Straftaten sollte allerdings im Gesetzgebungsprozess Rechnung getragen werden, indem eine Kennzeichnung zumindest thematisiert wird.

„Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn sichergestellt ist, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (BVerfGE 46, 222; 51, 343; 74, 262; 77, 76). Zu der Pflicht des Staates gehört daher ebenfalls die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten (BVerfGE 29, 194; 33, 383; 34, 248; 44, 374; 47, 247; 77, 76). Der Gesetzgeber kann allerdings die Verfolgung von bestimmten Straftaten auf Grund ihres typischen (nicht schweren) Unrechtsgehalts von einem besonderen öffentlichen Interesse abhängig machen (BVerfGE 50, 216).“ (Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Auflage 2011, Art. 20 Rn. 69)

Wenn in der politischen Diskussion die Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen BeamtInnen bemüht wird, so ist nicht erkennbar, inwieweit schützenswerte Positionen durch eine Kennzeichnungspflicht beeinträchtigt werden. Soweit sich die Kennzeichnung bei Versammlungen aus einer Kombination aus Nummern und/oder Buchstaben besteht, die keinen Rückschluss auf die Identität der BeamtInnen zulässt, werden ihre Persönlichkeitsrechte gewahrt. Es muss sich aber um eine eindeutige, klar erkennbare und einprägsame Kennzeichnung handeln.

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, in welcher Weise der Schutz durch eine Kennzeichnung herabgesetzt werden soll. Insbesondere die Argumentation, es müsse befürchtet werden, dass es zu mehr Strafanzeigen gegen BeamtInnen kommen könne, muss zurückgewiesen werden. Denn nicht mit einer unberechtigten Strafanzeige konfrontiert zu werden ist keine Position, die als schützenswert anerkannt werden kann. Das Instrument der Strafanzeige soll zu einer rechtlichen Prüfung führen, soweit sie unbegründet ist, hat sie jedoch keine rechtlichen Auswirkungen. Darüber hinaus hat sich die Befürchtung einer Zunahme unberechtigter Strafanzeigen nach der Einführung einer Kennzeichnungspflicht in anderen europäischen Ländern empirisch nicht bestätigt. (Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, WD 3 – 3010 – 126/11, S. 4. „In den meisten Mitgliedstaaten liegen keine relevanten Informationen vor, ob die Einführung der Kennzeichnungspflicht zu einem Anstieg unberechtigter Anschuldigungen gegen Polizeibeamte oder gar zu persönlichen Übergriffen auf diese geführt hat.“)

3. Bild- und Tonaufnahmen und aufzeichnungen

3. 1. Soweit der Gesetzentwurf der FDP in § 21 vorsieht, dass auch bei Versammlungen in geschlossenen Räumen präventiv zur Gefahrenabwehr Bild- und Tonübertragungen sowie –aufzeichnungen erlaubt sein sollen, ist dieser Grundrechteingriff wegen des fehlenden Gesetzesvorbehalts des Art. 8 GG verfassungsrechtlich nicht zulässig (so zu § 12 a VersammlG Brenneisen/ Wilksen; Versammlungsrecht, S. 436; Dietel/ Gintzel/ Kniesel, Versammlungsrecht, 15. Aufl. 2008, § 12 a Rdnr. 6 f.). Im Übrigen ist nach unserer Auffassung auch kein ergänzender Regelungsbedarf für Versammlungen in geschlossenen Räumen ersichtlich.

3.2. Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch gegen Qualität und Umfang von Bild- und Tonerfassungen bei Versammlungen unter freiem Himmel, weil insbesondere jede Videoaufnahme die grundrechtlich relevante Eingriffsschwelle überschreitet und auf die TeilnehmerInnen einer Demonstration eine potentiell abschreckende und einschüchternde Wirkung hat, die die Entschließungsfreiheit an einer Versammlung teilzunehmen beeinträchtigt.

Ungeachtet dessen, dass sowohl im FDP-Entwurf (§ 16) als auch in den  interfraktionellen Änderungsanträgen der SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und des SSW (§ 15) mit unterschiedlichem Radius und bei unterschiedlicher Gefahrendichte bzw. –qualifikation Ton- und Bildaufnahmen sowie –aufzeichnungen offen vorgenommen werden dürfen, ist für die VersammlungsteilnehmerInnen bei den einzelnen Maßnahmen nicht erkennbar, welche konkrete technische Maßnahme erfolgt und welcher Eingriffszweck dem zugrunde liegt. So mag dies noch bei eingesetzten Polizeifahrzeugen deutlich sein, nicht jedoch bei Hubschraubern und Drohnen, ob Bildaufnahmen oder    -aufzeichnungen gemacht werden. Ebenso wenig lässt sich für die TeilnehmerInnen feststellen, welchem Eingriffzweck die Maßnahme dient (Lageüberblick, Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung). Das  Erfordernis offener Datenerhebung ist in dem Gesetzentwurf und den Änderungsanträgen in der tatsächlichen Umsetzung nicht bzw. nicht hinreichend geregelt. Die im interfraktionellen Antrag von SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW in § 15 Abs. 3 bei Vornahme von  Übersichtsaufnahmen vorgesehene Information ausschließlich der Versammlungsleitung oder bei Aufzeichnung der betroffenen Person, soweit ihre Identität bekannt ist, erfüllt die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die ausreichende Bestimmtheit von Grundrechtseingriffen unserer Auffassung nach nicht.

Äußerst problematisch ist daneben auch die Regelung in § 16 Abs. 2 S. 1 des FDP-Gesetzentwurfes zu beurteilen, der für Zulässigkeit der offenen Beobachtung mittels Bild- und Tonübertragungen auf die „Unübersichtlichkeit“ einer Versammlung abstellt, wenn dies zur Abwehr einer „im Einzelfall bevorstehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ erforderlich sei. Mit der Anknüpfung an den Begriff der „Unübersichtlichkeit“, der tatbestandlich konturenlos und damit beliebig ist, wird die Schwelle für technische Maßnahmen zusätzlich herabgesenkt. Damit ist ebenfalls in grundrechtsrelevanter Weise der Kernbereich der inneren Versammlungsfreiheit berührt, weil für die Teilnehmenden die Qualität und der Zweck der Maßnahme nicht erkennbar ist. Hinzu kommt, dass immer dann, wenn eine steigende Vielzahl von Menschen sich für ein allgemein öffentliches Anliegen demokratisch engagiert, ihr Risiko steigt, auf Versammlungen polizeilich durch Ton- und Bildaufnahmen beobachtet zu werden und der grundrechtlich geschützte staatsfreie Charakter von Versammlungen (BVerfGE  69, a.a.O, S. 349) hierdurch in sein Gegenteil verkehrt wird.

Tatbestandlich ebenfalls unscharf – und insoweit in Widerspruch zur Normenbestimmtheit - sind überdies die Voraussetzungen für die Fertigung von „Übersichtsaufnahmen“ gefasst, weil sie weder technisch normiert sind noch eine Identifizierbarkeit von Personen ausschließen, sondern diese technisch in jedem Fall für die Auswertung optional zulassen (§ 16 Abs. 2 S. 3). Abgesehen davon hat bereits das BVerfG in seiner Entscheidung vom 17.02.2009 (1 BvR 2492/08; Rdnr 130) zum Bayerischen Versammlungsgesetz festgestellt, dass nach dem heutigen Stand der Technik ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufzeichnungen und personenbezogenen Aufzeichnungen nicht bestehe.

Soweit in den Änderungsanträgen von SPD und CDU in § 16 Abs. 2 generell  Übersichtsaufnahmen wegen „Größe und Unübersichtlichkeit von öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel zur Lenkung und Leitung“ zulässig sein sollen und von spezifisch versammlungsbezogener Gefahr abgesehen wird, wird die Grundrechtsrelevanz des Eingriffs verkannt und die Versammlungsfreiheit verkürzt. Sogenannte unspezifischen „Gefahrerforschungsmaßnahmen“ und Identifizierung von „Gefahrenpotentialen“ einer Versammlung, auf die sich der Änderungsantrag der CDU in seiner Begründung bezieht, sind als Eingriffsschwelle im Hinblick auf die konstitutive Bedeutung des Versammlungsrechts für die Demokratie nicht nur unverhältnismäßig, sondern berühren vor allem den Kernbereich der inneren Versammlungsfreiheit, unabhängig davon, ob aufgezeichnet wird oder nicht.  

4. Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot /Strafrechtsbestimmungen

In das Versammlungsgesetz des Bundes wurden über die Jahre zahlreiche Strafvorschriften eingefügt, die in Ergänzung zum allgemeinen Strafrecht besondere Handlungen im Rahmen von Demonstrationen sanktionieren sollen. Dieses Sonderstrafrecht ist kritisch zu sehen, weil seine Notwendigkeit an vielen Stellen nicht nachvollziehbar ist. Das Strafrecht ist eine Möglichkeit, Verbote durchzusetzen. Voraussetzung ist aber, dass das Verhalten zum einen als strafwürdig erscheint und dass andere Maßnahmen nicht erfolgversprechend erscheinen.

Insbesondere der vorliegende Änderungsantrag der CDU-Fraktion wird dem nicht gerecht.  Die vorgeschlagene – an die bisherige bundesrechtliche Regelung des § 17a VersG angelehnte – Änderung des § 17 VersG SH verlagert das strafwürdige Verhalten weit vor die Teilnahme an der Demonstration, indem auch der Weg zur Demonstration in den Tatbestand einbezogen werden. Dies ist in hohem Maße problematisch, weil zwar der Weg zur Demonstration dem Schutz des   Art. 8 GG unterfällt, ein strafwürdiges Verhalten – geht man von einer Strafwürdigkeit im Zeitpunkt der Teilnahme an der Demonstration aus – aber noch nicht im Ansatz zu erkennen ist. Selbst wenn man das Schutzgut der Durchsetzung staatlicher Vollstreckungshandlungen für ausreichend für ein Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot auf einer Versammlung hielte, ist dieses Schutzgut auf dem Weg zu einer Versammlung noch nicht betroffen.

Der ebenfalls im Entwurf der CDU-Fraktion geäußerten Auffassung, das Vermummungsverbot diene „selbst auch einem präventiven Charakter“ ist nicht zuzustimmen. Denn was soll im Vorfeld der Versammlung verhindert werden?

Dass sich VersammlungsteilnehmerInnen potentiell vermummen? Insbesondere ist es im Vorfeld praktisch nicht möglich, eine Vermummungsabsicht festzustellen, will man nicht in Spekulationen abgleiten. Die Vorverlagerung des Verbots führt dazu, dass die strafrechtlichen Vorschriften deutlich weiter ausgedehnt werden als nötig. Die Versammlungsfreiheit sollte unter Berücksichtigung ihres hohen Werts, das BVerfG spricht nicht umsonst davon, dass sie für die Demokratie konstitutiv ist, nur so weit eingeschränkt werden, wie es zwingend erforderlich ist. Die Ausübung des Grundrechts mag für den Staat mit Unannehmlichkeiten verbunden sein, diese hat er als Grundrechtsverpflichteter jedoch hinzunehmen.

Grundsätzlich begegnet das Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot, das auch in den Entwürfen der anderen Fraktionen enthalten ist, rechtlichen Bedenken, weil die juristisch nicht geschulten BürgerInnen aus dem Tatbestand nicht unmittelbar erkennen können, welches Verhalten verboten ist. Eine Abgrenzung, wann ein Gegenstand zu den entsprechenden Handlungen „geeignet und bestimmt“ ist, ist in vielen Fällen schwer oder kaum zu treffen. Handelt es sich bei einer Burka oder einer Maske mit politischem Hintergrund (z.B. „Guy Fawkes“) um einen solchen Gegenstand? Sind bei Versammlung im Winter wärmende Kleidungsstücke erlaubt? Darf  ein Schal oder  Halstuch getragen werden, ohne mit dem Vorwurf der Vermummung konfrontiert zu werden? Potentiell führt dies dazu, dass bestimmte Arten von Versammlungen nicht durchgeführt werden können. Gleiches gilt für Knieschoner, Zahnschutz oder andere Gegenstände, die vor schweren und möglicherweise erst durch komplizierte und langwierige Behandlungen heilende Verletzungen schützen sollen. Versammlungen können – wie zuletzt bei der Blockupy-Demonstration am 01.06.2013 in Frankfurt geschehen – auch unerwartet eine Gefährdung der Gesundheit mit sich bringen. BürgerInnen müssen sich vor derartigen Gefahren schützen können dürfen. Insbesondere ältere oder körperlich beeinträchtigte Menschen, Kinder und anderweitig gefährdete Personengruppen werden andernfalls einer erhöhten Verletzungsgefahr ausgesetzt.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die BürgerInnen – anders als die den Staat repräsentierende Polizei – ihre  Grundrechte wahrnehmen. Es ist angesichts der in der Regel hohen Polizeipräsenz bei Versammlungen nicht einsichtig, warum  sie nicht anonym an ihnen teilnehmen können sollen. Soweit Straftaten begangen werden, hat die Polizei die Befugnisse der Strafprozessordnung, um die Identität sofort festzustellen.

Insgesamt ist es begrüßenswert, dass sowohl der Entwurf der FDP-Fraktion, als auch die Änderungsanträge von SPD, GRÜNEN/BÜNDNIS  90, SSW den Weg zur Versammlung nicht vom Vermummungsverbot erfasst wissen wollen. Dies ist ein Fortschritt im Vergleich zum bisher geltenden § 17a VersG. Die Ausnahme des § 17a Abs.3 VersG sollte allerdings noch aufgenommen werden, um Ausnahmen von dem Verbot durch die Polizei zuzulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit fernliegend erscheint oder andere Gründe eine Ausnahme rechtfertigen. Positiv hervorzuheben ist der Änderungsantrag der PIRATEN-Fraktion, der das Verbot der Vermummung auf solche Situationen begrenzt, in denen eine erhebliche Gefährdung der Versammlung besteht. Die Polizei soll in diesem Fällen die Befugnis erhalten, ein Verbot auszusprechen. Dies erscheint wegen der dargelegten grundrechtliche Problematik als eine sinnvolle Einschränkung des bisher umfassend geltenden Verbots.

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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