VDJ-Stellungnahme zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes
Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen hat im Rahmen der schriftlichen Anhörung in der Ausschussberatung der Gesetzentwürfe der Regierungskoalition von CDU/ SPD sowie des Änderungsantrags von Bündnis 90/ Die Grünen zur Änderung des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes gefordert, auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel zu verzichten und hat die vorgesehenen parlamentarischen Kontrollrechte als völlig unzureichend kritisiert. Besonders gerügt hat die VDJ auch, dass der Gesetzentwurf der Linksfraktion nicht in die Anhörung einbezogen worden ist, worin sie eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien sieht.
1.
Zunächst einmal sehen wir uns veranlasst, unser Befremden darüber zum Ausdruck zu bringen, dass sich das Ersuchen des Innenausschusses des Thüringer Landtags um eine Stellungnahme nur auf die beiden Gesetzentwürfe der Regierungsfraktionen CDU und SPD (Drs. 5/4496) und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen (Drs. 5/3896) sowie den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und SPD (Drs. 5/2602) bezieht, nicht aber auf den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke (Drs. 5/4161) zur selben Regelungsmaterie. Offenbar ist der Ausschussmehrheit nicht bekannt, dass die „Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“ zum Kernbestand unserer Verfassungsordnung zählt – das Bundesverfassungsgericht rechnet sie dementsprechend zu den Mindestbestandteilen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes (BVerfGE 2, 1, Leits. 2; unvollständig insoweit § 2 III Nr. 3 Thür. VerfSchG). Damit unvereinbar ist eine rechtserhebliche Differenzierung zwischen einer den Regierungsparteien „angenehmen“ Opposition (in diesem Fall offensichtlich Bündnis 90/Die Grünen) und einer politisch missliebigen Opposition, deren Gesetzgebungsinitiativen einer fachlichen Erörterung erst gar nicht für würdig befunden werden. Das in einer solchen Haltung zum Ausdruck kommende Verständnis parlamentarischer Demokratie mag einem von der Entscheidungspraxis der gegenwärtigen Bundesregierung geprägten Zeitgeist (zur Missachtung von Parlamentsrechten kürzlich BVerfG, Urteil v. 19. 6. 2012, 2 BvE 4/11) entsprechen, jedoch nicht dem normativen Willen des Grundgesetzes.
2.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der beabsichtigten Neuregelungen ist zunächst die Feststellung, dass das Bundesland Thüringen hinsichtlich des Verfassungsschutzes an bundesgesetzliche Vorgaben gebunden ist: Nach § 2 II BVerfSchG muss jedes Land eine „Behörde zur Bearbeitung von Angelegenheiten des Verfassungsschutzes“ unterhalten, deren Aufgaben sich im Einzelnen nach § 3 BVerfSchG bestimmen. Nicht durch das Bundesgesetz und auch nicht durch Art. 97 Thür. Verf. vorgegeben sind jedoch die Befugnisse, derer sich die entsprechende Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedienen darf - abgesehen vom Ausschluss polizeilicher Befugnisse. Deshalb darf das Land sich durchaus für einen Verzicht auf die sog. „nachrichtendienstlichen Mittel“ (§ 6 Thür. VerfSchG) entscheiden. Wie sehr insbesondere das V-Leute-Wesen zu einem für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unerträglichen Unwesen geworden ist (vgl. Prantl, SZ v. 21. 11. 2011), zeigen die verstörenden Tatsachen, die inzwischen durch die Ermittlungen von Medien sowie die Untersuchungsausschüsse zur „NSU“-Terrorzelle ans Licht gebracht wurden. Hier mögen ein paar Stichworte genügen: So hat das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz mit Geldzahlungen an V-Leute im sechsstelligen Bereich die Neonaziszene nachhaltig gefördert, nicht zuletzt im Rahmen der obskuren „Operation Rennsteig“. Polizeiliche Maßnahmen gegen Angehörige der Neonaziszene wurden mehrfach behindert, die „SoKo Rex“ des LKA Thüringen 1996 aufgelöst. Wie die „Berliner Zeitung“ am 8. 12. 2011 meldete, blockierte das Thüringer Innenministerium zwischen 2000 und 2002 die von der Polizei beabsichtigte Festnahme von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Am 4. 11. 2011 wurde Zschäpe auf ihrer Flucht aus Zwickau von einem Handy aus angerufen, das auf das Innenministerium Sachsens zugelassen ist („Berliner Zeitung“ v. 30. 5. 2012). – Alle diese Fakten nähren den Verdacht, dass der Schutz von V-Leuten des Verfassungsschutzes einigen Amtsträgern offenbar wichtiger war als der Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern, die auf diese Weise – unbehelligt von der Polizei – ihre Gewalttaten fortsetzen konnten. Ein Anfangsverdacht der Strafvereitelung gemäß § 258 StGB ist hier im Übrigen kaum von der Hand zu weisen, entsprechende Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft gegen die hierfür verantwortlichen Personen wären mithin angezeigt. - Von einer für beide Seiten vorteilhaften „Symbiose“ zwischen Bediensteten des Verfassungsschutzes und rechtsradikalen Parteifunktionären sprach der Osnabrücker Staatsrechtler Jörn Ipsen schon angesichts des Scheiterns des NPD-Verbotsverfahrens im Jahre 2003 (JZ 2003, 489). Wie er damals noch nicht wusste, kann eine solche „Symbiose“ auch der Aufdeckung und möglicherweise sogar die Verhinderung einer beispiellosen Mordserie im Wege stehen; dem Schutz unserer Verfassungsordnung dient sie jedenfalls ein keiner Weise. Deshalb sollte die Ermächtigung zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, zu denen insbesondere „Vertrauensleute und Gewährspersonen“ gerechnet werden (§ 6 I Thür. VerfSchG), aus dem Gesetz gestrichen werden.
3.
Zwar ist die in den Gesetzentwürfen vorgesehene Stärkung der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes (§§ 18 ff. Thür. VerfSchG) ein Schritt in die richtige Richtung. Solange allerdings die parlamentarischen Kontrollrechte nicht als wirksame Minderheitsrechte ausgestaltet sind, bleiben sie ein „stumpfes Schwert“, dem allenfalls Alibicharakter gegenüber einer besorgten Öffentlichkeit zukommt. Im heutigen parlamentarischen Regierungssystem überwacht schließlich „in erster Linie nicht die Mehrheit die Regierung, sondern diese Aufgabe wird vorwiegend von der Opposition – und damit in der Regel von einer Minderheit – wahrgenommen.“ (BVerfGE 49, 86). Wegen des Interessengegensatzes zwischen regierungstragender Mehrheit und oppositioneller Minderheit ist die Kontrollfunktion des Parlaments mithin wesentlich von den gesetzlich eingeräumten Einflussmöglichkeiten der Minderheit abhängig. Sofern die gesetzlichen Regelungen der jeweiligen Parlamentsmehrheit hingegen erlauben, eine Aufklärung von Missständen durch entsprechende Entscheidungen zu blockieren, bleibt die parlamentarische Kontrollinstanz ein „blinder Wächter ohne Schwert“ (Gusy, ZRP 2008, 39). Deshalb stößt auch die entsprechende, die Mehrheit begünstigende Regelung auf Bundesebene durch das Kontrollgremiumsgesetz aus dem Jahre 2009 auf Bedenken (vgl. die Kritik des Sachverständigen Kutscha in der Anhörung des Innenausschusses des Bundestages am 25. 5. 2009, Protokoll S. 61). Die Ausgestaltung der Rechte der Minderheit in der Parlamentarischen Kontrollkommission sollte sich statt dessen an den Minderheitsrechten in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen (Art. 64 Thür. Verf.) orientieren.