VDJ Info 12/2021 vom 20.09.2021

VDJ: Deutsche Wohnen und Co. enteignen - Vergesellschaftungen sind verfassungsmäßig

Vor der Abstimmung zum Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" am 26.09.2021 in Berlin erinnert die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) an ihre Stellungnahme zur Zulässigkeit eines solches Volksbegehrens unter dem Grundgesetz. Die offene Eigentums- und Wirtschaftsordnung, die im Grundgesetz in der Spannung der Artikel 14 und 15 zum Ausdruck kommt, ermöglicht Vergesellschaftungen ausdrücklich als Alternative zum Markt. Die Stellungnahme geht auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen für Vergesellschaftungen ein und zeigt, dass in der asymmetrischen Machtsituation zwischen profitorientierten Wohnungseigentumsgesellschaften und Mieter:innen eine verfassungsmäßig zulässige Rechtfertigung für Vergesellschaftungen von Wohnraum liegt. Der vollständige Beitrag findet sich hier.

Bundeswehrflugzeuge über Heiligendamm verletzten das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit

14 Jahre nach dem G8-Treffen am 6./7. Juni 2007 in Heiligendamm hat das OVG Greifwald in zwei Urteilen vom 08.09.2021 (1 L 9/12 und 1 L 13/12) festgestellt, dass der Einsatz von tieffliegenden Tornado-Kampfflugzeugen 114m über einem Protestcamp am 05.06.2021 die Versammlungsfreiheit der Demonstrant:innen verletzt hat und rechtswidrig war. Das Gericht hatte die Klagen in einem ersten Verfahren abgewiesen, das Bundesverwaltungsgericht die Urteile jedoch aufgehoben und zurückverwiesen. Bereits in Heiligendamm war medial eine versammlungsfeindliche Stimmung erzeugt worden, die dann auch beim G-20 Treffen 2017 in Hamburg aufkam und mit der der Abbau von Grundrechten und die Militarisierung der Polizei legitimiert werden sollen. In dieser Situation ist die Klarstellung des Rechtmäßigkeitserfordernisses für hoheitliches Handeln ebenso positiv zu bewerten wie die Eingrenzung des Einsatzes von Militär im Inneren. Die Pressemitteilung des Gerichts findet sich hier, die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.

"Brandschutz nur vorgeschoben" - VG Köln erklärt Räumung und Abriss von Baumhäusern im Hambacher Forst für rechtswidrig

Mit Urteil vom 08.09.2021 hat das Verwaltungsgericht Köln festgestellt, dass die Räumung und Beseitigung von Baumhäusern und anderen Anlagen im Hambacher Forst rechtswidrig war (23 K 7046/18). Im Protest gegen die Abholzung des Forstes zum Zwecke des Braunkohleabbaus waren in den Jahren 2012-2018 eine Vielzahl von Baumhäusern, Plattformen, Holzunterständen, Zelten und Lagerflächen im Wald errichtet worden. Im Sommer 2018 wies das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW die beklagte Stadt Kerpen gegen deren Willen an, die Baumhäuser wegen Verletzung von Brandschutzbestimmungen im Wege des Sofortvollzugs zu beseitigen, was am 13.09.2018 dann auch geschah. Das Gericht hielt die Maßnahme für rechtswidrig. Aus den Unterlagen des Ministeriums gehe hervor, dass die Entfernung von Braunkohlegegner:innen aus dem Forst das Ziel der Räumung gewesen sei. Der Brandschutz war also nur vorgeschützt. Daneben wies das Gericht auf Mängel bei der Bestimmtheit der Anordnung der Maßnahme hin. Gegen das Urteil ist ein Antrag auf Zulassung der Berufung zum OVG Münster statthaft. Die Pressemitteilung des Gerichts findet sich hier.

Uber-Fahrer:innen auch in den Niederlanden Arbeitnehmer:innen - Tarifvertrag anwendbar

In einem jüngeren Urteil erklärte das Bezirks-Gericht Amsterdam wie zuvor Gerichte in Frankreich und England, dass Fahrer:innen der Plattform uber Scheinselbständige und in der Sache Arbeitnehmer:innen sind. Das Gericht argumentierte, dass die Fahrer:innen dem Betrieb des von uber entwickelten Algorithmus unterliegen, sobald sie sich in die App einloggen. »Die Fahrer fallen damit unter die ›moderne Arbeitgeberautorität‹, die Uber über die App ausübt«, begründete das Gericht. Geklagt hatte der niederländische Gewerkschaftsbund FNV. Das Urteil reflektiert eine sich verändernde Arbeitswelt und passt die Instrumente des arbeitsrechtlichen Arbeitnehmer:innenschutzes auch auf diese Lebenswirklichkeit an. Die Konsequenzen der Ableitung der Arbeitgeberstellung aus einer "modernen Arbeitgeberautorität", die in vielen Fällen über technisches Design und Algorithmen erfolgen dürfte, dürften für die neuen Plattformökonomien insgesamt bedeutend sein. Das niederländische Gericht erklärte im konkreten Fall alle uber-Fahrer:innen für Arbeitnehmer:innen und den Tarifvertrag für Taxifahrer:innen rückwirkend für anwendbar. Berichte zu dem Urteil finden sich unter anderem hier.

RAV: Keine Ausweitung der Befugnisse für das kommerzielle Sicherheitsgewerbe!

In einer Pressemitteilung vom 15.09.2021 hat der Republikanische Anwält:innenverein (RAV) vor einer Ausweitung der Befugnisse im Sicherheitsgewerbe gewarnt. Eine bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausweitung teilweise auch hoheitlicher Befugnisse auf das Sicherheitsgewerbe wurde in dieser Legislaturperiode nur durch die Corona-Krise aufgehalten. Weiterhin schwelt indes die Gefahr, dass hoheitliche Befugnisse wie die Kontrolle von Personalien und die Erteilung von Platzverweisen auf private Sicherheitsfirmen übertragen werden. »Besonders bedenklich ist, dass das kommerzielle Sicherheitsgewerbe hoheitliche Rechte fordert, also Rechte, die nach dem Grundgesetz regelhaft nur Staatsbediensteten zustehen«, so Dr. Lukas Theune, Geschäftsführer des RAV. »Öffentliche Sicherheit ist eine öffentliche Aufgabe und kein Selbstbedienungsladen für profitorientierte Unternehmen. Dann auch noch das Streikrecht einschränken zu wollen, das ist schon ein einmaliger Vorgang«. Die vollständige Erklärung, die auch andere Organisationen gezeichnet haben, findet sich hier.

"Ein ganzer Berufsstand vor Gericht": Internationale Jurist:innenorganisationen kommentieren die Faktenfindungsmission zu den Massenprozessen gegen Jurist:innen in der Türkei

In einer Erklärung vom 20.09.2021 kommentieren mehr als 30 internationale Jurist:innenorganisationen die Faktenfindungsmission vom 15.-20.09.2021, die sich mit der Verfolgung von Jurist:innen in der Türkei befasst hat. Der Mission beobachtete mehrere Gerichtsverfahren in Istanbul, besuchte inhaftierte Jurist:innen in Hochsicherheitsgefängnissen und sprach mit dem Präsidenten der Istanbuler Anwaltskammer, sowie mit der Verteidigung und weiteren Jurist:innen in der Türkei. Derzeit stehen mehr als zwei Duzend Verteidiger:innen wegen ihrer anwaltlichen Tätigkeit unter Terrorismusvorwürfen vor Gericht oder sind bereits verurteilt worden. Ziel der Faktenfindungsmission war es, der Frage nachzugehen, ob die Verfahren gegen die Jurist:innen den Standards eines Fairen Verfahrens entsprechen oder nicht. In einem ersten Überblick weist die Erklärung darauf hin, dass mit dem Aufrechterhalten der Vorwürfe ein ganzer Berufsstand vor Gericht gestellt werde. Die Unterbringung in Hochsicherheitsgefängnissen stelle zudem eine menschenrechtsrelevante Einschränkung von Kommunikationsmöglichkeiten dar, die nicht gerechtfertigt sei. Anwält:innen seien essentiell, um rechtsstaatliche Regeln sicherzustellen. Es sei die Aufgabe des türkischen Staates, sie zu verteidigen und nicht ihre Verfolgung zu betreiben. Die vollständige Erklärung mit einer Liste der erstunterzeichnenden Organisationen findet sich hier.

Noch Plätze frei: Arbeitskreis Arbeitsrecht am 23.10.2021 in Frankfurt u.a. mit arbeitsrechtlicher Analyse der Bundestagswahl

Für die Herbsttagung des Arbeitskreis Arbeitsrecht der VDJ am 23.10.2021 gibt es weitere freie Plätze. Die Tagung findet am 23. Oktober 2021, 10.30 Uhr-16.00 Uhr in Frankfurt/Main sowie virtuell im Livestreaming mit interaktiver Beteiligung. Themen sind "Rechtspolitische Herausforderungen im Arbeitsrecht – was sind die Perspektiven nach der Bundestagswahl am 26.09.2021" mit der Referentin Micha Klapp, Leiterin der Abteilung Recht beim DGB-Bundesvorstand. Außerdem referiert Michael Schubert, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Freiburg über "Die neue Arbeitsbedingungenrichtlinie der EU – Gesetzgeber im Verzug" und Dr. Simon Gerdemann vom Institut für Wirtschafts- und Medienrecht an der Universität Göttingen spricht zum Thema "Whistleblowing als unveräußerliches Arbeitnehmer*/Innenrecht - EU-Whistleblowing-Richtlinie und ihre Auswirkungen auf die betriebliche Praxis in Deutschland". Bei jeder Form der Teilnahme wird für Fachanwälte gemäß § 15 FAO ein Teilnehmernachweis für 5 Stunden erstellt und nach der Tagung versandt. Der Tagungsbeitrag beträgt EUR 120,00 (EUR 40,00 für Studenten, Referendare und Rechtsanwälte/Rechtssekretäre in den ersten zwei Jahren nach Berufsbeginn). Die Anmeldung ist weiterhin möglich unter: AKArbR@arbeitsrechtsanwaelte-hamburg.de

Morgen in München: Wie sozialschädlich sind Wirtschaftskriminalität und Korruption? - Veranstaltung der Regionalgruppe München am 21.09.21 um 19:30 Uhr

Bundeskriminalamt, Regierungen von Bund und Ländern, Experten verschiedener Fachgebiete sind sich einig: Die durch Wirtschaftskriminalität verursachten materiellen Schäden sind größer als alle übrigen durch Kriminalität verursachten Schäden. Ganz zu schweigen von den immateriellen: Den Vertrauensverlust in Wirtschaft und Demokratie. Es gibt keine politischen Parteien, die das bestreiten. Gestritten wird aber darüber, wie dieser Art von Kriminalität zu begegnen ist.

Der Gründer und Ehrenvorsitzende der Aufklärungsorganisation Business Crime Control, der Frankfurter Wirtschaftskriminologe Prof. Dr. Hans See, erklärt die verschiedenen politischen Sichtweisen (national, europäisch, international) und verschiedene Bekämpfungsstrategien auf Grundlage bisheriger Erfahrungen und aktueller wissenschaftlicher Diskussionen. Am Dienstag, den 21. September 2021 um 19.30 Uhr im EineWeltHaus München, Schwanthalerstr. 80, München. Der Link zur Veranstaltung findet sich hier. Freie Plätze sind noch vorhanden, eine vorherige Anmeldung ist notwendig!

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