Erklärung

2018: 100 Jahre Achtstundentag in Deutschland – Soll das jetzt vorbei sein? Drohende Experimente mit dem Arbeitszeitgesetz

Arbeitsrechtler verlangen wirksame Maßnahmen gegen Burn-Out und die weitere Entgrenzung von Arbeitszeiten – Beschäftigte brauchen Zeitsouveränität und wirksamen Arbeitsschutz statt Abbau von Arbeitnehmer-Schutzrechten!

1918 wurde in Deutschland der verbindliche Achtstundentag bei vollem Lohnausgleich eingeführt. Mit Arbeitszeitverordnungen von 1923 und 1938 wurden durch Ausnahmeregelungen auch wieder Zehnstundentage zugelassen. Nach den Jahren des Faschismus und des Krieges, in welchem die meisten Arbeitszeit- und Schutzvorschriften außer Kraft gesetzt wurden, wurde der Achtstundentag 1946 durch den Alliierten Kontrollrat wieder eingeführt. Das jetzige Arbeitszeitgesetz, das 1994 in Kraft trat, erlaubt 8 Stunden Arbeit an sechs Werktagen pro Woche. Dabei kann die werktägliche Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Stunden im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Durch schriftliche Vereinbarung zwischen Tarifparteien oder Ausnahmegenehmigungen kann dieser Rahmen sogar zusätzlich erweitert werden. Zwischen Arbeitszeitende und nächsten Arbeitsbeginn muss immer eine Ruhezeit von 11 Stunden gelten.

Diese Regelungen will nun die Große Koalition in Frage stellen. Sie will das - ohnehin schon mit erheblichen Flexibilisierungsmöglichkeiten ausgestaltete - Arbeitszeitgesetz öffnen, um (noch) mehr betriebliche Flexibilität zu erproben. So soll die wöchentliche Arbeitszeit flexibler geregelt werden können. Insbesondere die Arbeitgeberverbände verlangen auch, dass die Höchstgrenze von zehn Stunden Arbeit am Tag aufgehoben wird. Ihre Pläne gehen soweit, dass es gar keine tägliche, sondern nur noch eine auf die Arbeitswoche bezogene Höchstarbeitsgrenze geben soll. Die gesetzliche Mindestruhezeit soll auf 9 Stunden verkürzt werden, so dass 13-Stunden-Arbeitstage möglich werden (oder sogar noch länger, wenn die Ruhezeiten über tarifliche Öffnungsklauseln noch weiter verkürzt werden sollten).

Welche Fakten sprechen gegen derartige Experimente?

-  Die jetzt schon weiten Grenzen des Arbeitszeitgesetzes werden vielfach nicht eingehalten. Bei rund 19.000 durchgeführten Kontrollen im Jahr 2016 wurde von den Aufsichtsbehörden der Länder bei jeder zweiten Überprüfung ein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz festgestellt.

-  Nach einer 2015 durchgeführten Arbeitszeitbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wurde festgestellt, dass 70 % der Beschäftigten nach mehr als 8 Stunden noch arbeiten. 66 % der Befragten machen spätestens 9 Stunden nach Arbeitsbeginn Feierabend, 34 % sind sogar länger als 9 Stunden dabei und immerhin 11 % der Beschäftigten machen – was klar unzulässig ist! – nach mehr als 10 Stunden Feierabend. Die Befragung hat ferner ergeben, dass mit jeder zusätzlichen Stunde Arbeit die Work-Life-Balance leidet, sich gesundheitliche Beschwerden wie Schlafstörungen und körperliche Erschöpfung einstellen.

Wie dpa am 09.04.2018 berichtet, klagen 61 % der Menschen in Deutschland über Rückenschmerzen oder Erschöpfung, davon 23 % sogar häufig. 50 % der Beschäftigten sehen nach einer aktuellen BKK-Umfrage für sich ein Burn-Out-Risiko, wobei das Gefühl völliger Erschöpfung hauptsächlich zurückgeführt wird auf Termindruck, emotionalen Stress durch Kunden oder Patienten, Überstunden (!) und schlechtes Arbeitsklima.

-  Das entspricht auch der Lebenserfahrung aus der arbeitsrechtlichen Beratung. Der von der VDJ auf ihrer Frühjahrstagung am 07.04.2018 erfolgte Erfahrungsaustausch von mehr als 120 arbeitsrechtlichen Beratern hat in zahlreichen Berichten untermauert, dass viele Beschäftigte dem Leistungsdruck nicht mehr Stand halten und oft nur noch als Alternative die Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses für sich sehen. Die Beschäftigten brauchen daher keine „Experimentierräume“ in Richtung einer weiteren Ausdehnung der Arbeitszeiten und Erhöhung des Arbeitsdrucks. Allzu oft mussten wir Arbeitsrechtler erleben, dass mit solchen „Experimentierräumen“ dauerhafte Veränderungen mit entsprechenden Verschlechterungen einhergehen, so wie dies bei der Einführung - der ursprünglich nur für einen begrenzten Zeitraum vorgesehenen - sachgrundlosen Befristung passiert ist.

Das Gebot der Stunde: Mehr Arbeitsschutz und Einhaltung der Arbeitszeitgrenzen

-  Angesichts steigender Zahlen psychischer Erkrankungen brauchen Beschäftigte mehr statt weniger Arbeitsschutz.

-  Die Beschäftigten brauchen eine effektive Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeitenregelungen durch die Arbeitsschutzbehörden. Die gesetzlichen Dokumentationspflichten sind auf alle tatsächlich ausgeübten Arbeitszeiten und die Pausennahme zu erweitern. Die Behörden sind entsprechend personell auszustatten und mit entsprechenden Kompetenzen zu versehen.

-  Die extreme Ausweitung der maximalen Arbeitszeitgrenzen durch das Arbeitszeitgesetz von 1994 ist zurückzunehmen auf eine maximale wöchentliche Arbeitsdauer von ausnahmsweise 50 Stunden und nicht mehr. Ausstiegsklauseln sind zu verbieten.

-  Eine verbindliche und nachzuweisende Pausennahme ist zu gewährleisten

-  Ausgleichszeiträume für Phasen mit längerer Arbeitszeit sind auf maximal drei Monate zu beschränken.

-  Wir brauchen quantitative Besetzungsregelungen, insbesondere im Gesundheits- und Pflegebereich. Eine Effektivierung der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte durch ein Initiativrecht für eine verbindliche und transparente Erfassung aller Arbeitszeiten und deren Offenlegung gegenüber Beschäftigten und den Aufsichtsbehörden.

-  Wir brauchen den jeweiligen persönlichen und familiären Lebensumständen und Phasen entsprechende Familien-, Gesundheits- und altersgerechte Arbeitszeiten im Sinne einer zuverlässig abgesicherten „Work-Life-Balance“.

- Hände weg vom regelhaften Achtstundentag!

Wir fordern die Große Koalition und die von ihr gebildete Bundesregierung hiermit auf, wirksame Schritte zum Arbeitsschutz und zur Einhaltung der Arbeitszeiten zu unternehmen und nicht etwa leichtfertig und mit dem Ergebnis weiterer Gesundheitsgefährdungen die Arbeitszeitgrenzen zu lockern bzw. in Teilen aufzuheben. Eine Politik für Beschäftigte wäre dies ganz offensichtlich nicht.

Dies ist die Position der arbeitnehmerorientierten Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler – erörtert und beschlossen auf der Frühjahrstagung des Arbeitskreises Arbeitsrecht der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. am 07.04.2018

Frankfurt, im April 2018

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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