DJ und Int. Liga für Menschenrechte zum Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens: Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt Bedenken von Bürger- und Menschenrechtsorganisationen
Das Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die NPD ist gescheitert - bereits zum zweiten Mal. Schon zu Beginn des Verfahrens waren die Erfolgsaussichten eines Verbotsantrages zumindest offen. Damals hatten die Internationale Liga für Menschenrechte und die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen erhebliche verfassungsrechtliche und rechtspolitische Bedenken formuliert, insbesondere müsse die NPD auch das reale Potential für eine unmittelbare Gefahr für Demokratie und Verfassung haben, um verboten werden zu können. Und sie hatten darauf hingewiesen, dass ein Verbotsverfahren die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der NPD nicht ersetzen kann.
Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, den Verbotsantrag des Bundesrates abzulehnen, kann die neonazistische Partei zwar künftig darauf verweisen, dass sie nicht verboten sei, doch das Gericht stellt ausdrücklich fest, dass das politische Konzept der NPD die Menschenwürde missachtet, mit dem Demokratieprinzip unvereinbar ist und eine „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ aufweist. Allerdings sei die Partei derzeit als Kleinstpartei mit wenig Kapazität, Resonanz und Wählerstimmen zu unbedeutend, um ein Verbot zu rechtfertigen. Ein Erreichen der verfassungswidrigen Ziele der NPD mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheine ausgeschlossen. Welche Auswirkungen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für den Umgang mit der Partei haben wird, ist noch nicht vollständig abzusehen. Es darf jedenfalls nicht passieren, dass dieses Urteil als „Persilschein“ für die NPD begriffen wird.
1. Verfassungswidrige Ziele, aber zu schwach für ihre Durchsetzung
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verletzt das von der NPD vertretene politische Konzept die Menschenwürde, weil es den universellen Achtungsanspruch der Person negiert und allen, die nicht der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ in ihrem Sinne angehören, die elementare Rechtsgleichheit verweigert. Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen sind hiernach Programm der NPD. Weiter missachte die Partei das Demokratieprinzip, weil sie „Nichtdeutsche“ von der politischen Willensbildung ausschließen wolle und einen am Prinzip der „Volksgemeinschaft“ orientierten autoritären Nationalstaat anstrebe.
Ausdrücklich stellt das Gericht fest, dass die NPD eine „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ aufweise. Das Konzept der „Volksgemeinschaft“, die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung ließen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen. Hinzu kommen das Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der NPD mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentierten.
Ein Verbot scheitert jedoch daran, dass nach Ansicht der Karlsruher Richter das Tatbestandsmerkmal des „Darauf Ausgehens“ im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfüllt sei. Es fehle an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen ließen. Weder stehe eine erfolgreiche Durchsetzung dieser Ziele im Rahmen der Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung in Aussicht, noch sei der Versuch einer Erreichung dieser Ziele durch eine der NPD zurechenbare Beeinträchtigung der Freiheit der politischen Willensbildung in hinreichendem Umfang feststellbar.
2. Organisations- und Parteiverbote sind Hilfsmittel, keine Lösung
Mit ihrem aggressiven Auftreten und ihren Verbindungen zu Kameradschaften und „Autonomen Nationalisten“ ist die NPD nach wie vor eine zentrale Organisation für die neonazistische Szene. Anhaltende finanzielle Probleme und Misserfolge bei Wahlen – vor allem zugunsten der AfD - haben sie zwar geschwächt, ihre Bedeutung und Gefährlichkeit dürfen dennoch nicht unterschätzt werden. Nicht erst die schleppende Aufarbeitung der NSU-Mordserie hat gezeigt, dass die NPD und rechte Gewalt zusammen gehören. Für die alltäglichen Übergriffe auf Migranten und Andersdenkende sind immer wieder NPD-Funktionäre und -Mitglieder verantwortlich. Hier sind Polizei und Justiz gefordert, konsequenter als bisher einzuschreiten. Oder wie das Bundesverfassungsgericht formuliert: „Auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen muss mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der NPD Betroffene wirkungsvoll zu schützen.“
Vor einem Parteiverbot sind Nutzen und Risiken sorgfältig zu prüfen und abzuwägen, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil getan hat. Im Fall eines Verbots würden der Partei zwar ihre organisatorische Basis entzogen sowie ihre staatliche Finanzierung und die kommunalen Mandate wegfallen - doch diese Konsequenzen könnten sich rasch durch Verdrängungs- und Verlagerungseffekte wieder relativieren: Denn nach einem Verbot könnten sich Teile der früheren Partei neu organisieren und möglicherweise sogar weiter radikalisieren, wie das im Fall von anderen Organisationsverboten immer wieder zu beobachten war. Dafür standen der NPD bereits existierende Parteien wie „Der III. Weg“ oder „Die Rechte“, aber auch die AfD als Auffangbecken zur Verfügung. Im Übrigen ist die in den vergangenen Jahren radikalisierte NPD selbst Resultat von Verboten neonazistischer Organisationen, deren Funktionäre und Mitglieder in der Partei Unterschlupf und ein neues Agitationsfeld fanden. Auch das Verbot von Kameradschaften durch NRW-Innenminister Jäger hatte dazu geführt, dass diese nunmehr in der Splitterpartei „Die Rechte“ aktiv sind und noch offener als zuvor agieren. Das bedeutet: Ein Verbot kann andere Neonazi-Organisationen oder –Parteien stärken.
Organisations- und Parteiverbote sind daher allenfalls Hilfsmittel, jedenfalls kein Beitrag zu einer Lösung oder wirksamen Eindämmung rechter Umtriebe. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind in der Gesellschaft weit verbreitet und müssen hier auch bekämpft werden. Die NPD ist vor allem dort verankert, wo sie an bestehende Ressentiments anknüpfen kann. Doch seit geraumer Zeit betreibt die AfD die rechte und rassistische Stimmungsmache weit erfolgreicher und dies bis hinein in die Mitte der Gesellschaft.
3. Rassismus wirksam bekämpfen
Ein Zurückdrängen menschenverachtenden Gedankenguts setzt eine aktive zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung voraus, die sich an die gesellschaftlichen Ursachen wagt. Es gilt, sich nicht allein auf Verbote zu verlassen, sondern ein umfassendes und systematisches Gesamtkonzept zur Bekämpfung auch des staatlich-institutionellen Rassismus einzufordern. Noch immer schließen die Ermittlungsbehörden bei Straftaten häufig einen neonazistischen bzw. rassistischen Hintergrund aus, ohne überhaupt in diese Richtung ermittelt zu haben. Im Polizeialltag werden Kontroll- und Repressionsmaßnahmen immer wieder an Herkunft und Aussehen von Personen geknüpft, hier vor allem gegenüber schwarzen Menschen und People of Color. So kommt es gerade im Zuge verdachtsunabhängiger Polizeikontrollen häufig zu einem „Racial Profiling“ („rassistische Rasterung“), wie etwa an Silvester in Köln. In vielen weiteren Rechtsgebieten sind ausgrenzende und diskriminierende Regelungen und Maßnahmen verbreitet, insbesondere im Ausländer- und Asylrecht, in Teilen des Strafrechts, im Arbeits- und Sozialrecht sowie auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Dieser gesellschaftliche, gesetzliche, institutionelle und staatliche Rassismus trägt und verstärkt den alltäglichen Rassismus der neonazistischen Szenen bis weit hinein in die Mitte der Gesellschaft.
Zu kritisieren ist darüber hinaus, dass die Ermittlungsbehörden den demokratischen Protest gegen Neonazis zunehmend kriminalisieren. Demonstrationen und Sitzblockaden gegen rechte Aufmärsche sind keine Straftaten, sie sind notwendige Protestformen gegen menschenverachtende Stimmungsmache und gewaltbereite rassistische Gruppierungen.