Gegen den „autoritären Sozialstaat“ - Die Verschärfung des Sozialrechts bedroht die Rechte aller
Gemeinsame Erklärung von sechs Bürgerrechtsorganisationen vom 27.11.2025
Die Bundesregierung hat einen „Herbst der Reformen“ angekündigt - hinter dem scheinbar zukunftsgewandten Begriff verbergen sich jedoch umfassende Angriffe auf sozialrechtliche Errungenschaften. Das Sozialrecht soll mehr denn je als Strafinstrument gegenüber Betroffenen eingesetzt werden. Um Maßnahmen eines zunehmend autoritären Sozialstaats zu legitimieren, betreibt die Bundesregierung eine Rhetorik der Spaltung und Abwertung gegenüber armen Menschen. Nicht nur der Sozialstaat wird repressiver, auch die bürgerlichen Freiheiten stehen unter Druck.
Das Bundesverfassungsgericht leitet aus der Würde des Menschen (Artikel 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) ein „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ ab, das auch die Gesetzgebung beachten muss. Sanktionen, mit denen Leistungen unter das Niveau des Existenzminimums abgesenkt werden, hat das Bundesverfassungsgericht nur in sehr engen Grenzen für zulässig erklärt. Sanktionen, die einen strafenden Charakter haben, sind grundsätzlich verboten.
Mit dem Gesetzesvorschlag für eine „Neue Grundsicherung“ unternimmt die Bundesregierung einen systematischen Angriff auf die Würde des Menschen und das Sozialstaatsprinzip. Geplant sind u.a. Totalsanktionen bei drei versäumten Terminen, eine Begrenzung der Unterkunftskosten für Betroffene ab dem ersten Tag des Leistungsbezugs und umfangreiche Nachweispflichten für Bewerbungen, die bei Nichterbringen auch Sanktionen zur Folge haben können. Es steht bereits fest, wen diese Maßnahmen besonders hart treffen werden: psychisch kranke und vulnerable Menschen. Anstatt ihnen mit einem Ausbau Sozialer Arbeit zu helfen, werden sie schikaniert. Auch Kinder werden überproportional von den Sanktionen betroffen sein. Mittlerweile lebt jeder vierte Minderjährige in einem Haushalt, in dem Sozialleistungen bezogen werden. Zunehmend werden auch mächtige digitale Werkzeuge zur detaillierten Überwachung und Repression eingesetzt, siehe etwa Ideen ähnlich der „Asylcard“ oder Socialmedia-Überwachung.
Die Angriffe auf den Sozialstaat laufen parallel zu einer stark steigenden Staatsverschuldung. Diese Verschuldung ist aber nicht die Folge eines ausufernden Sozialstaats, sondern einer beispiellosen Aufrüstung der Bundesrepublik. Wirksame Maßnahmen, um Finanzbedarfe zu decken oder das Leben der Menschen zu verbessern, wie eine gerechte Besteuerung von Reichen und Erbschaften, die Verfolgung von Steuerhinterziehung oder eine Deckelung der Mieten und Vergesellschaftung von Wohnraum, geht die Bundesregierung nicht an. Der Kampf der Regierung gegen arme und hilfebedürftige Menschen soll von diesen sozialpolitischen Leerstellen ablenken.
Die Verschärfung des Sanktionsregimes im Sozialrecht ist zugleich ein Angriff auf die Arbeitnehmer*innen. Im Kontext von Werkschließungen und einer angespannten wirtschaftlichen Lage droht vielen Beschäftigten in die soziale Bedürftigkeit zu fallen, wo nun sogar der Verlust der eigenen Wohnung droht. Damit wird der Druck erhöht, schlechtbezahlte Jobs zu akzeptieren und unterhalb der eigenen Qualifikation zu arbeiten. Angriffe auf den Sozialstaat sind immer auch Instrumente, um Lohndumping zu vereinfachen. Die Verteidigung eines Sozialstaats, der eine angemessene Sicherheit des Lebensstandards effektiv sicherstellt, ist deshalb das Interesse aller Lohnabhängigen.
Unterzeichnende Organisationen:
Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)
Humanistische Union (HU)
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Neue Richtervereinigung (NRV)
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)
Vereinigung Demokratischer Jurist:innen (VDJ)