Erklärung

Covid-19-Pandemie: Kein geeigneter Katalysator für einseitigen Lobbyismus

Der Deutsche Anwaltverein hat am 24.03.2020 eine Stellungahme veröffentlicht, die unter der Überschrift „Zu der Notwendigkeit, die Handlungsfähigkeit der Betriebspartner in der aktuellen Krise zu gewährleisten“ steht.

In dieser Stellungnahme werden eine Reihe von Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes, aber auch Änderungen des Arbeitszeitgesetzes, des AÜG und des SGB III gefordert.

Während der Vorschlag zur Beschlussfassung der Arbeitnehmerinteressenvertretungen „im Umlaufverfahren“ noch als Versuch eines Beitrags zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit der Betriebsparteien gewertet werden mag, haben alle anderen Vorschläge eine Schwächung der kollektiven Interessenvertretung, der Privatautonomie der Beschäftigten und der sie schützenden Gesetze zum Gegenstand und dienen allein der Verwirklichung von Arbeitgeberinteressen.

Eine Stärkung der Rechte von Beschäftigten, die in der Covid19-Pandemie aus Schutzgründen dringend geboten wäre (wie etwa Leistungsverweigerungsrechte bei fehlenden/unzureichenden Schutzmaßnahmen gegen Infektionen am Arbeitsplatz), findet sich in der Stellungnahme ebenso wenig wie eine auch nur annähernd nachvollziehbare Erklärung der beträchtlichen Einschränkungen der bestehenden Mitbestimmungsrechte und Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Die einseitige Verfolgung von Arbeitgeberinteressen durch den DAV, die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht und deren Ausschüsse, wird von uns auf das Schärfste abgelehnt. Sie ist nicht zuletzt deshalb besonders empörend, weil die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen in diesen Zeiten der Krise maßgeblich dazu beitragen, dass diese im Zusammenwirken der Betriebsparteien bewältigt werden kann.

Im Einzelnen:

1. Beschlüsse im „Umlaufverfahren unter Nutzung moderner Kommunikationsmittel“

Dies ist der einzige Vorschlag, der erkennen lässt, dass das vorangestellte Regelungsziel verfolgt wird. Dies geschieht jedoch äußerst unzulänglich. So bleibt offen, was ein „Umlaufverfahren“ ist. An dieser Stelle wären klare Regelungen zur Form der Beschlussfassung geboten gewesen, die wesentlichen Grundsätzen in Bezug auf die Willensbildung im Betriebsrat – namentlich der Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen – bestmöglich Rechnung tragen. Auch die Voraussetzungen, unter denen von den allgemeinen Regelungen zur Beschlussfassung nach § 33 BetrVG abgewichen werden darf, werden nicht beschrieben. In vielen Betrieben, in denen die Beschäftigten noch präsent sind, besteht keine Notwendigkeit, von diesen abzuweichen.

Die Unklarheit der vorgeschlagenen Regelungen nährt Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer

Beschlussfassung eher, als dass diese entschärft würden. Damit wird die Handlungsfähigkeit der

Betriebsräte geschwächt.

2. Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens nach § 14a BetrVG

Welche Relevanz dieser Vorschlag im Zusammenhang mit dem Regelungsziel der Gewährleistung der Handlungsfähigkeit der Betriebsparteien in der aktuellen Krise haben soll, bleibt im Verborgenen. Es trifft zu, dass die Durchführung von Betriebsratswahlen, gleich ob im vereinfachten oder im normalen Wahlverfahren, sich derzeit vielerorts unter diversen Aspekten als schwierig gestaltet. Diese Probleme werden jedoch nicht durch die Ausdehnung des vereinfachten Wahlverfahrens behoben, das mehr noch als das normale Wahlverfahren darauf angelegt ist, dass Beschäftigte an einem Ort zu Wahlversammlungen zusammentreffen. Es handelt sich in Zeiten einer Pandemie um einen unverantwortlichen Vorschlag.

3. Einführung eines neuen „Dreier-Ausschusses“ - Entmachtung der Betriebsräte

Die Forderung nach einer zwangsweisen Einführung eines „Dreier-Ausschusses“, verbunden mit dem gesetzlichen Entzug von Rechten für das Gesamtgremium, ist zutiefst undemokratisch und lässt sich mit wesentlichen Prinzipien des Betriebsverfassungsrechts nicht vereinbaren. Die zwingende Übertragung sämtlicher Beteiligungsrechte auf einen kleinen, nicht repräsentativen Ausschuss, ist generell und gerade in Zeiten der Krise abzulehnen, in denen Betriebsräte oftmals Regelungen mittragen müssen, die für die Beschäftigten erhebliche Belastungen mit sich bringen. Die Legitimation der Beschlüsse und die Repräsentanz der Beschäftigten durch die von ihnen gewählten Vertreter*innen darf gerade jetzt nicht in Frage gestellt werden. Für einen derartigen Eingriff gibt es keinerlei Grund, wenn das Problem der Beschlussfassung im Falle der Unmöglichkeit von Präsenzsitzungen einer wirksamen Lösung zugeführt wird.

Völlig offen bleiben auch die Grenzen der (durch den Betriebsrat nicht veränderbaren) Kompetenz des „Dreier-Ausschusses“. Diese soll sich auf alle Beteiligungsrechte erstrecken, soweit ein Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie besteht. Das trifft derzeit auf nahezu alle Mitbestimmungsthemen bis hin zu Betriebsänderungen zu. Mit schwammigen Kompetenzregelungen wird die Handlungsfähigkeit der Betriebsräte beträchtlich geschwächt und nicht – wie es angeblich das Ziel der Stellungnahme war – gestärkt.

4. Aufhebung der Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen nach § 99 BetrVG

Im DAV-Gesetzgebungsvorschlag wird völlig zusammenhangslos gefordert, die Mitbestimmung bei personellen Maßnahmen nach § 99 BetrVG vorübergehend abzuschaffen. Die Einschränkung „wegen der Eindämmung der Covid-19-Pandemie“ wäre so konturenlos und weit interpretierbar, dass diese Norm geradezu dazu einlüde, Mitbestimmungsrechte nicht mehr zu beachten. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Betriebsverfassungsgesetz mit § 100 BetrVG heute schon dem Arbeitgeber die Möglichkeit bietet, in Eilfällen unverzüglich zu handeln, erschließt sich auch nicht ansatzweise eine Notwendigkeit, hier Rechte „vorübergehend“ abzuschaffen. Es ist zynisch, die Handlungsfähigkeit der Betriebsparteien damit gewährleisten zu wollen, dass Betriebsräten ihre verbürgten und elementaren Mitbestimmungsrechte genommen werden.

5. Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes

Warum es im Interesse der Betriebsparteien – insbesondere auch der Arbeitnehmerseite – sein sollte, die Möglichkeiten der Arbeitnehmerüberlassung zu erweitern (und damit Arbeitnehmerschutzrecht zurückzudrängen), bleibt – ebenso wie das Regelungsziel dieses Vorschlags – offen. Die Praxis zeigt, dass ein Tätigwerden von Beschäftigen bei anderen Arbeitgebern ohne weiteres auf der Basis bestehender Regelungen (z. B. unter Nutzung der Regelungen des Befristungsrechts) möglich ist, wenn die Unternehmen dies wünschen. Es wäre eher die Bekämpfung des Missbrauchs und nicht die Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse das Gebot der Stunde.

6. Änderung im SGB III zur Kurzarbeit – Arbeitsvertragsänderungen durch „Mehrheitsentscheid“

Was die vorgeschlagene Änderung des SGB III mit der aktuellen Situation zu tun hat und wie diese Maßnahme geeignet sein soll, den behaupteten Regelungszweck einer erhöhten Handlungsfähigkeit der Betriebsparteien zu erfüllen, ist nicht erkennbar. Hier wird die Privatautonomie der Beschäftigten mit einem Federstrich abgeschafft, was weder unter politischen noch unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten akzeptiert werden kann. Stattdessen wäre es geboten, eklatante Schutzlücken der Beschäftigten im Kontext mit der Kurzarbeit zu schließen. Zu nennen ist hier z. B. die Nichtberücksichtigung des Kurzarbeitergeldes bei der Bemessung des Elterngeldes, die empfindliche Einbußen für Familien bedeutet, die ohnehin in vielfacher Hinsicht besonders unter der Krise leiden.

7. Änderung des Arbeitszeitgesetzes

Die geforderte Änderung des Arbeitszeitgesetzes bezüglich der Vermutung eines Notfalls, selbst wenn dieser in keiner Weise vorliegt, ist unnötig und stellt einen eklatanten Eingriff in zentrale Arbeitnehmerschutzbestimmungen dar. Dieser ist zu keinem Zeitpunkt - und erst recht nicht in Zeiten extrem hoher krisenbedingter Beanspruchung – vertretbar. Gerade die Beschäftigten in der Kranken- und Altenpflege, im Einzelhandel und im Reinigungsgewerbe und weitere in der Krise so essentiell wichtige Arbeitnehmergruppen arbeiten derzeit bis an den Rand der Erschöpfung und darüber hinaus. Sie brauchen Schutz vor Überforderung z. B. durch die gesetzlichen Ruhepausen und -zeiten und nicht die Aufweichung dieser Standards.

Ganz abgesehen davon können bereits jetzt Aufsichtsbehörden gem. § 15 Abs. 2 ArbZG Ausnahmen zulassen, „soweit sie im öffentlichen Interesse dringend nötig werden“. In vielen Teilen der Bundesrepublik haben die Behörden davon auch Gebrauch gemacht, so z. B. die Regierung von Oberbayern mit Bekanntmachung vom 17. März 2020, Az. M 1A/BS 4960/2020. Die Handlungsfähigkeit besteht also bereits jetzt. Auch hier wird deutlich, dass im Windschatten der Corona-Krise das Ziel verfolgt wird, in Arbeitnehmerschutzrechte einzugreifen.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Stellungnahme des DAV und seiner Ausschüsse durch die einseitige Verfolgung von Arbeitgeberinteressen geprägt ist und die Rechte der Beschäftigten bei einer Umsetzung erheblich geschwächt würden.

Die Abgabe einer solchen Stellungnahme ist für einen Verein, in dem sich Anwältinnen und Anwälte zusammengeschlossen haben, die sowohl Arbeitgeber als auch Beschäftigte vertreten, völlig unangemessen. Statt die gewachsene Zusammenarbeit der unterschiedliche Interessen vertretenden Kolleginnen und Kollegen im DAV in Zeiten der Krise zu stärken, wird der fachliche Zusammenhalt durch kurzfristig durchgedrückte Mehrheitsentscheidungen in den berufenen Ausschüssen nachhaltig gefährdet.

Wir fordern den DAV mit Nachdruck auf, die Stellungnahme 18/2020 zurückzuziehen.

Veronica Bundschuh (Meisterernst/Düsing/Manstetten, Münster), Dr. Sandra Carlson (Manske & Partner, Nürnberg), Michael Fleischmann (Seebacher/Fleischmann/Müller, München), Jens Peter Hjort (Müller-Knapp/Hjort/Wulff, Hamburg), Dieter Hummel und Nils Kummert (dka, Berlin), Heike Brodersen (Arbeitsrechtskanzlei Hamburg), Regina Steiner (Steiner/Mittländer/Fischer, Frankfurt)

Unter antwort@dka-kanzlei.de kann diese Erklärung unterstützt werden. Bitte neben dem Namen auch die Kanzlei angeben.

Die Liste mit den bisherigen Unterstützer*innen (Stand 07.04.2020) ist der eingestellten pdf-Datei zu entnehmen.

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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