VDJ Info 14/2021 vom 15.11.2021

Solidaritätsdemo für inhaftierte Anwält:innen, morgen, am 16.11.2021 um 11 Uhr vor der türkischen Botschaft in Berlin!

Mit einer Resolution vom 28.09.2021 fordert die Fédération des Barreaux d'Europe (FDE) die Freilassung aller in der Türkei inhaftierten Anwält:innen und ruft Jurist:innen auf, am 16.11.2021, um 11:00 Uhr vor türkischen Botschaften und Konsulationen allerorten (in Roben) für die Freilassung der Kolleg:innen zu demonstrieren. Die vollständige Stellungnahme findet sich hier. Die unabhängige Vertretung der rechtlichen Interessen der Mandant:innen ist ein Grundpfeiler anwaltlicher und rechtsstaatlicher Prinzipien. Ihn zu gewährleisten, ist die Aufgabe hoheitlicher Organe. Seit mittlerweile fünf Jahren befinden sich in der Türkei Selcuk Kozagacli, Träger des Hans-Litten-Preises, Barkin Timtik, Trägerin des Ludovic-Trarieux-Menschenrechtspreises 2020, sowie weitere Kolleg:innen in Haft, weil sie als Rechtsanwält:innen ihre Aufgaben wahrnehmen. Die nächste Anhörung findet am 17.11.2021 statt. Gemeinsam mit dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V., der Berliner Strafverteidigervereinigung e.V. und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V., folgt die Rechtsanwaltskammer Berlin dem Aufruf der FBE und ruft alle dazu auf, Ihre Solidarität und Unterstützung mit den inhaftierten türkischen Kolleg:innen zu zeigen und am 16.11.2021 um 11.00 Uhr vor der Botschaft der Türkischen Republik, Tiergartenstraße 19-21 in 10785 Berlin, in Roben für eine sofortige Freilassung der Kolleg:innen zu demonstrieren!

PRO ASYL fordert die EU und Polen auf, die Spirale der Eskalation zu stoppen und Menschenleben zu schützen

In einer Pressemitteilung vom 08.11.2021 fordert Pro Asyl dazu auf "Den Zugang zu Asyl zu wahren, Flüchtlinge aufzunehmen und ihre Versorgung sicherzustellen". Seit Monaten harren Menschen in der Kälte und ohne Versorgung im Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus bereits aus, um einen Asylantrag in der EU stellen zu können. Mindestens zehn Menschen sind in diesem Zeitraum bereits im Grenzgebiet gestorben. "Mit dem Militäreinsatz an der Grenze und der menschenverachtenden Rhetorik des ‚hybriden Kriegs‘ lässt Polen die Strategie Lukaschenkos aufgehen. Den Preis dieses zynischen Kräftemessens bezahlen schutzbedürftige Menschen auf der Flucht," argumentiert Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL. Es ist höchste Zeit, das zynische Kräftemessen an der EU-Außengrenze zu beenden. Die vollständige Erklärung findet sich hier. Auch der Paritätische Gesamtverband sieht eine sich zuspitzende Situation der ca. 4.000 Flüchtenden im Grenzgebiet. Die Pushbacks auf Seiten Polens stellen einen Verstoß gegen europäisches und internationales Flüchtlingsrecht dar. Der Verband fordert in einer Stellungnahme vom 10.11.2021, die sich hier findet, u.a. den Schutzsuchenden Zugang zu einem fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahren in der EU zu gewähren.

EJDM kritisiert die Entscheidung Israels, sechs palästinensische zivilgesellschaftliche Organisationen als terroristisch einzustufen

Die Europäische Vereinigung von Juristinnen & Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt (EJDM), eine Vereinigung von Jurist:innen in 21 Ländern, hat in einer Stellungnahme vom 27.10.2021 die Entscheidung der israelischen Regierung kritisiert, sechs zivilgesellschaftliche palästinensische Organisationen als Terrorgruppen einzuordnen. Die betroffenen Gruppen stehen seit Jahren im Austausch mit zentralen Akteur:innen der internationalen Menschenrechtsarbeit, wie den Vereinten Nationen, Anmesty International und Human Rights Watch. Eine von ihnen erhielt erst 2018 den Menschenrechtspreis der Französischen Republik. Die Organisationen leisten teilweise entscheidende Beiträge bei der medizinischen Versorgung in den besetzten Gebieten, bei der Rechtsbetreuung von Inhaftierten und der Förderung von Menschenrechten, Geschlechtergleichheit und Minderheitenrechten vor Ort. Die Gruppen Al-Haq and Addameer sammeln Beweise für Menschenrechtsverstöße von allen vor Ort beteiligten Parteien. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen hält die Begründung der israelischen Regierung für "extrem vage" und die inkriminierten Aktivitäten für "friedliche und legitime Aktivitäten". Die EJDM ruft insbesondere die Europäische Union auf, sich der Einschätzung nicht anzuschließen und die Arbeit der Gruppen weiterhin zu unterstützen. Die vollständige Erklärung in englischer Sprache findet sich hier.

Amnesty International: Versammlungsgesetz NRW unverhältnismäßig und abschreckend!

In der umfassenden Stellungnahme vom 30. September 2021, die die Völkerrechtsexpertin Dr. Maria Scharlau für Amnesty International (AI) verfasst hat, wird aus menschenrechtlicher Perspektive dargestellt, wie und warum das geplante VersG NRW den Anforderungen an ein menschenrechtskonformes Versammlungsgesetz nicht gerecht wird. Hauptkritikpunkte sind, dass die Staatsfreiheit der Versammlung angegriffen wird, dass zu hohe Hürden für die Anmeldung und Durchführung von Versammlungen errichtet werden, dass durch extensive Videoüberwachung unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsrechte der Teilnehmenden eingegriffen wird und dass durch Kontrollen, Sanktionen und Strafandrohungen ein deutlicher Abschreckungseffekt für die Ausübung der Versammlungsfreiheit entsteht. Außerdem sieht die Stellungnahme auch das Recht von Journalist:innen und das Recht auf Versammlungsbeobachtung unverhältnismäßig eingeschränkt. Insgesamt fällt der Bericht ein vernichtendes Urteil zur Vereinbarkeit des geplanten VersG NRW mit menschenrechtlichen Standards. Die vollständige Stellungnahme findet sich hier.

"Epidemie ohne epidemische Lage" - Der Bundestag muss über die Fortsetzung der Pandemiemaßnahmen beschließen

In einem Beitrag im Verfassungsblog erklärt Thorsten Kingreen, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Regensburg, die Herausforderungen von demokratisch legitimierten Pandemiemaßnahmen nach dem Ende der "epidemischen Lage von nationaler Tragweit". Denn die Voraussetzungen dieses Rechtsbegriffs dürften trotz steigender Inzidenzen nicht mehr vorliegen. Es brauche gesetzlich „eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland“, die sich nicht auf ein individuelles Krankheitsrisiko bezieht, sondern auf ein kollektives Rechtsgut, dem Funktionieren des Gesundheitssystems. Es gebe also durchaus eine Pandemie, aber ohne epidemische Lage. Da die Feststellung dieser Lage kontrafaktisch sei, empfiehlt Kingreen gesetzgeberische Übergangslösungen zu finden. Der Beitrag findet sich hier.

Wie in der Vergangenheit bereits durch Stellungnahmen, die hier, hier und hiernachzulesen sind, fordert die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ) die Abgeordneten des Bundestages dazu auf, Regelungen zu treffen, die sich am Grundgesetz orientieren, die wesentlichen Wertungen selbst vorzunehmen und nicht durch Ermessensspielräume auf die Exekutive zu delegieren. Mit der Möglichkeit einer Impfung und wirksamen Immunisierung können Maßnahmen, die das private, soziale und kulturelle Leben generell auf ein Minimum beschränken, kaum mehr gerechtfertigt werden.

Offener Brief: Zivilgesellschaft fordert Ende der Vorratsdatenspeicherung!

In einem Offenen Brief, den die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) erstgezeichnet hat, wendete sich der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung am 26.10.2021 an die Verhandler:innen der Koalitionsverhandlungen und fordert ein Ende der Vorratsdatenspeicherung. Die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung sei die am tiefsten in die Privatsphäre eingreifende und zugleich unpopulärste Massenüberwachungsmaßnahme, sie sei bei der Aufdeckung schwerer Straftaten überflüssig und als Eingriff in die Rechte von allen Bürger:innen schädlich und verfassungswidrig. Die vollständige Stellungnahme mit dem Offenen Brief findet sich hier.

BAG: Arbeitgeber:in muss Fahrradlieferant:innen Fahrrad und Mobiltelefon als notwendige Arbeitsmittel zur Verfügung stellen

Fahrradlieferant:innen, die Speisen und Getränke ausliefern und ihre Aufträge über eine App erhalten, haben Anspruch darauf, dass ihnen die Arbeitgeber:in die für ihre Tätigkeit notwendigen Arbeitsmittel zur Verfügung stellt. Dazu gehören jedenfalls ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 10.11.2021 festgestellt (5 AZR 334/21) und damit das vorinstanzliche Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen bestätigt. Zwar können Abweichungen von diesem Grundsatz im Arbeitsvertrag vereinbart werden. Für Allgemeine Geschäftsbedingungen gelte dies aber nur insofern für die Nutzung eigener Arbeitsmittel ein angemessener Ausgleich vereinbart sei. Eine Reparaturgutschrift für das private Fahrrad in Höhe von 25 Cent pro gearbeiteter Stunde genüge dem nicht. Das Urteil stärkt die Rechte der Fahrer:innen in einer Situation, in der im Rahmen der sogenannten Plattformökonomie zunehmend arbeitsrechtliche Mindeststandards unterlaufen und Risiken und Kosten auf Arbeitnehmer:innen ausgelagert werden. Die Pressemitteilung des Gerichts findet sich hier.

Justitia als Dienerin der Immobilienspekulanten? BVerwG macht Milieuschutz praktisch unmöglich

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel (2 BvF 1/20) hat sich auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig spekulationsfreundlich in die Wohnraumfrage eingebracht und mit Urteil vom 09.11.2021 hohe Schranken für die Ausübung des kommunalen Vorkaufsrecht für Wohnraumimmobilien errichtet (Az. 4 C 1.20). Geklagt hatte die Pohl & Prym Grundstücksgesellschaft mbH, die 2017 für 3,4 Millionen Euro eine Wohnimmobilie in einem angesagten Berliner Viertel kaufen wollte. Das Bezirksamt nutzte das gemeindliche Vorkaufsrecht für die im Geltungsbereich einer Milieuschutzsatzung befindliche Immobilie, um die Bestandsbewohner:innen vor Verdrängung, Mietexplosionen und Luxusaufwertung zu schützen. Das BVerwG stellte fest, dass das Vorkaufsrecht aus § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nur bestehe, wenn die Nutzung bereits im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zweckentfremdet sei oder die bauliche Anlage Misstände und Mängel aufweise. Prognoseentscheidungen sind nach dieser Rechtsauffassung ausgeschlossen. Dass der Kaufpreis bereits ein Indiz für die weitere Verwendung der Immobilie sein könnte, weil Investitionen in dieser Branche mit einer bestimmten Renditeerwartung getätigt werden, die Nutzungsentfremdung also im konkreten Fall bereits angelegt war, wollte dem Gericht naturgemäß nicht aufgehen. So versteckt sich hier erneut eine mietenpolitische Entscheidung im Gewand der formellen Gesetzesanwendung. Die Pressemitteilung des Gerichts findet sich hier. Presseberichte finden sich hier und hier.

Kanzlei Hentschel Rechtsanwälte in Göttingen sucht Verstärkung!

Die Arbeitnehmerkanzlei Hentschel Rechtsanwälte in Göttingen sucht zur Verstärkung ihres Teams eine:n arbeitsrechtlich versierte:n Rechtsanwalt/Rechtsanwältin. Berufserfahrung (möglichst als Fachanwalt/Fachanwältin für Arbeitsrecht) ist wünschenswert. Die Kanzlei vertritt ausschließlich Arbeitnehmer:innen, Betriebsräte und Personalräte und ist seit vielen Jahren in der Region etabliert. Die Universitätsstadt Göttingen im Zentrum Deutschlands bietet eine hohe Lebensqualität und vielfältige Kultur- und Freizeitangebote. Infos unter: https://www.kanzlei-hentschel.de/kanzlei/stellenangebote/index.html E-Mailbewerbung bitte an hentschel@kanzlei-hentschel.de

Realsatire: Selbst die Hamburger Polizei will Plakat für Andy Grote nicht mehr übermalen

Niemand lässt sich gerne beleidigen und erst recht nicht in Hamburg, dachte sich wohl auch Andy Grote, seines Zeichens Hamburgischer Innensenator, als er aufgrund einer Nachricht auf Twitter mit dem Wortlaut "Du bist so 1 Pimmel" Strafantrag stellte und im September die Wohnung des mutmaßlichen Urhebers des Tweets von der Hamburger Polizei durchsuchen ließ. Damit lag die juristische Frage auf dem Tisch, ob eine frühmorgendliche Hausdurchsuchung wegen der Aussage "Du bist so 1 Pimmel" verhältnismäßig sei, führen doch weit drastischere Ausfälle gegenüber Frauen, Migrant:innen und Aktivist:innen fast nie zu polizeilichem Eingreifen. Die von vielen Twitter-Nutzer:innen als unverhältnismäßig empfundene Hausdurchsuchtung veranlasste wiederum einige Unbekannte, im Umfeld von Grotes Wohnung in Hamburg Sticker mit der Aufschrift "Du bist so 1 Pimmel" anzubringen, die dann von der Polizei abgekratzt wurden. Spätestens durch diesen Einsatz von Steuermitteln erlangte die Sache bundesweite Aufmerksamkeit. Weitere Unbekannte ließen es sich nicht nehmen, ein Gemälde an der Roten Flora anzubringen, auf dem der inkriminierte Satz erneut ausgestellt wurde. Auch diese "Straftat" wurde von der Hamburger Polizei durch Übermalen beendet. Es entstand ein Wettstreit im Übermalen, der zumindest vorerst von den Unbekannten gewonnen wurde, da sich die Polizei mittlerweile darauf zurückzieht, dass es sich bei der Beleidigung um ein Dauerdelikt handle und ein weiteres Einschreiten durch ständiges Übermalen nicht mehr notwendig sei. Die Polizeigewerkschaft erinnerte jedenfalls daran, dass auch in Hamburg noch andere polizeiliche Aufgaben zu erfüllen seien. Ob der leicht reizbare Innensenator das auf sich sitzen lässt, bleibt abzuwarten. Ein Bericht mit Bild findet sich hier.

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