Erklärung

Die sozialpolitischen Thesen der VDJ

1. Recht auf Ausbildung und Arbeit

      1.1.Grundsätzliche Überlegungen

      1.2.das geltende Sozialstaatsgebot

      1.3.Verfassungrechtliche Defizite

      1.4. Welche Arbeit ?

      1.5. Umverteilung der Arbeit durch Arbeitszeiverkürzung

      1.6. Einheitliche Sozialstandards

      1.7. Sozialer Schutz aller Beschäftigungsverhältnisse

      1.8. Recht auf Aus- und Weiterbildung

2. Neuentwicklung des öffentlichen Sektors

3. Für ein gerechtes Steuersystem

4. Gleichstellung von Frauen Männern

5. Arbeitssicherheit/Gesundheitsschutz/Schutz bei Erwerbsminderung

6. Erhalt und Ausbau von Mitbestimmgsrechten

7. Sicherung der Altersversorgung

8. Für eine Reform der Arbeitsmarpoltik

9. Eine Mindestsicherung tut Not

10. Europaweites / internationales Agieren von Gewerkschaften


1 Recht auf Ausbildung und Arbeit

1.1 Grundsätzliche Überlegungen

Die Arbeitslosigkeit hat mit 4,2 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen im Laufe des Jahres 1997 einen historischen Rekord nach dem 2. Weltkrieg erreicht. Ein Rückgang dieser Zahl ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die im Interesse der Wirtschaftsunternehmen betriebene "Standort"-Politik führt dazu, daß die Arbeitslosigkeit weiter zunimmt, immer größere Teile der Bevölkerung verarmen, während wenige immer reicher werden. Wegen der Kürzung sozialer Leistungen müssen viele massive Einbußen an Lebensqualität hinnehmen. Zugleich ist der private Reichtum in Deutschland 1996 um ca. 300 Milliarden DM gewachsen - die soziale Schere klafft immer mehr auseinander.


Gerade in reichen Ländern, wie der BRD, ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit und ihrer sozialen Folgen leichter möglich und sollte die oberste sozialpolitische Verpflichtung jeder Regierung sein. Neben Arbeitszeitverkürzung und dem Auf- und Ausbau des öffentlich finanzierten Beschäftigungssektors sind sozial nützliche und ökologisch vertretbare öffentliche und private Investitionsprogramme ein wichtiges Instrument zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die seit zwei Jahrzehnten ansteigende Massenarbeitslosigkeit ist vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik vermeidbar und sozialpolitisch verantwortungslos. Ohne grundlegende Umverteilung von Einkommen und Vermögen sowie eine sozialverpflichtete Steuerreform wird sich allerdings die Massenarbeitslosigkeit und ihre sozialen Folgen nicht beseitigen lassen.


Grundsätzlicher Klärung bedürfen in diesem Zusammenhang auch die vielfältig diskutierten neuen Beschäftigungsmöglichkeiten neben der vom Arbeitsmarkt und damit von der Privatwirtschaft her definierten Erwerbsarbeit und Nützlichkeit. Hierzu gehört zentral die Frage nach dem Stellenwert der Erwerbsarbeit für die individuelle Lebenssicherung und in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Umfang der Erwerbsarbeit, die individuell für die Existenzsicherung zu leisten ist. Vor diesem Hintergrund bedarf der Begriff der Vollbeschäftigung einer Neudefinition. Andere gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten (z.B. Familienarbeit) bedürfen der sozialpolitischen Anerkennung und sozialen Sicherung. Auch den Nichterwerbsfähigen ist ausreichende soziale Sicherung zu garantieren. Steuerfinanzierte anstelle von beitragsfinanzierter sozialer Sicherung wäre dazu eine wichtige Bedingung.


Eine sogenannte Reformdebatte um den Umbau des Sozialstaates, die primär unter der Prämisse von Sparen und Sparmodellen geführt wird, beinhaltet auch konkret die Frage: Wieviel Freiheit, Gleichheit und Mitmenschlichkeit wollen wir uns leisten ? Unter dem Vorwand von angeblichen Einsparnotwendigkeiten und Globalisierung wird der Abbau des Sozialstaates vollzogen. Eine wesentliche sozialpolitische Aufgabe wird darin bestehen, solidarische Strukturen in der Gesellschaft auszubauen und die Verantwortlichkeit der Unternehmen für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung sozialer Lebensbedingungen rechtlich verbindlich zu machen.


Für die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit und den Erhalt bzw. die Schaffung sozialer Lebensbedingungen sind neben veränderten politischen auch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen erforderlich.

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1.2. Das geltende Sozialstaatsgebot

Die BRD versteht sich als demokratischer und sozialer Bundesstaat (Art. 20 I GG). Diese Festlegung ist nicht nur als konstitutive Grundsatznorm zu verstehen, die gleichzeitig dem Unveränderlichkeitsschutz des Art. 79 III GG unterliegt, sondern auch als begrenzt offener gesellschaftspolitischer Handlungsauftrag. Die konkrete Ausgestaltung der Wirtschafts- und Sozialordnung und sozialer Sicherungssysteme legitimiert sich ganz entscheidend dadurch, inwieweit sie solidarische und gerechte gesellschaftliche Verhältnisse und demokratische gesellschaftliche Partizipation real schafft.


Eine Regierung, die den jahrzehntelangen Anstieg der Massenarbeitslosigkeit zuläßt und die den Abbau von Arbeitnehmerrechten und sozialen Besitzständen damit zu rechtfertigen versucht, auf diese Weise die Schaffung von Arbeitsplätzen anzuregen, verstößt gegen ihren Handlungsauftrag aus Art. 20 I GG.

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1.3 Verfassungsrechtliche Defizite

Allerdings ist nicht zu verkennen, daß das Sozialstaatsgebot eindeutige Wertungen auch im Verhältnis zu anderen staatlichen Verpflichtungen (z.B. Geldwertstabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, Begrenzung der Staatsneuverschuldung) vermissen läßt. Mehr denn je in der Geschichte der Bundesrepublik rächt sich unter der Herrschaft der CDU/FDP-Koalition, daß gegen die Demontage des Sozialstaates, gegen die Aushöhlung des Solidarprinzips, gegen die massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen trotz wachsender Wirtschaftskraft und steigender Unternehmergewinne keine verfassungsrechtlichen Barrieren aufgebaut sind, das Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 3 GG und den anderen Grundrechten nicht näher konkretisiert worden ist. So war es möglich, für Umverteilung zugunsten der Unternehmer, Sozialabbau und erleichterte Vernichtung von Arbeitsplätzen die notwendigen rechtlichen Grundlagen zu schaffen.


Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Behebung der Arbeitslosigkeit zu der "dem Staat obliegenden, ihm durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit vom Grundgesetz auch besonders aufgegebenen Daseinsvorsorge" gerechnet. Es fehlt aber an detaillierten verfassungsrechtlichen Verpflichtungen des Gesetzgebers und der Regierung, ihre gesamte Politik, insbesondere die Wirtschafts- und Finanzpolitik - im Sinne aktiver Beschäftigungspolitik - an der Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit auszurichten. Eine entsprechende Interventionspflicht und Interventionsmacht fehlt auch auf der Ebene der Europäischen Union. Anstatt wirtschaftspolitisch die Grundlagen für verschärften Wettbewerb und damit letztlich für Sozialabbau zu schaffen, müßte die Europäische Union verpflichtet werden in erster Linie Maßnahmen zur Herstellung von Vollbeschäftigung zu treffen. Es muß verfassungsrechtlich und europarechtlich klar gestellt werden, daß Vollbeschäftigung als Staatsziel, im Verhältnis zu Geldwertstabilität, Haushaltsausgleich, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht den Vorrang hat.

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1.4 Welche Arbeit ?

Erwerbsarbeit ist für die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung immer noch die Basis ihrer sozialen Existenz und Sicherheit. Auf ihr beruht maßgeblich die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme. Mit ihr verbunden ist das gesamte Sozialleistungssystem (Arbeitslosen-, Kranken, Pflege- und Rentenversicherung). Nicht zur "Arbeit" wird gezählt und keinen hinreichenden sozialen Schutz genießt der Bereich privater und gemeinnütziger, gesellschaftlicher Beschäftigung, die vorwiegend von Frauen geleistet wird (Kinder-, Alten-, Behindertenbetreuung).

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1.5 Umverteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung

Da den Gewerkschaften die Umverteilung der vorhandenen Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung nicht im ausreichendem Umfang zu gelingen scheint, wird Arbeitszeitverkürzung auch auf gesetzlicher Grundlage zumindest als tarifpolitisch auszugestaltende Rahmenregelung durchzusetzen sein. Sowohl aus wirtschaftspolitischen (Nachfrageeffekt) wie aus sozialpolitischen Gründen darf die Arbeitszeitverkürzung allerdings keine erzwungene Teilzeitarbeit sein und zumindest für die niedrigeren Einkommen wird eine Mindestsicherung bzw. ein Entgeltausgleich zu regeln sein.


Entsprechendes gilt für die Reduzierung der Mehrarbeit über die Regelarbeitszeit hinaus. Die tariflichen und betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsmöglichkeiten zur deutlichen Reduzierung der Mehrarbeit (Überstundenabbau) reichen nicht aus oder werden aufgrund der ungleichen Kräfteverhältnisse von der Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen nicht genutzt. Verbindliche gesetzliche Regelungen können daher eine wichtige Funktion bei der Umverteilung der Mehrarbeit leisten.


Auch auf diesem Gebiet wird die erwünschte Umverteilung der Arbeit und damit die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit voraussetzen, daß entsprechende Gesetze europaweit verabschiedet werden.

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1.6. Einheitliche Sozialstandards

Durch die Einführung weitreichender, verbindlicher europäischer Sozialstandards, wird nicht nur das soziale Niveau in allen europäischen Länder gehoben, sondern es wird die Möglichkeit eingeschränkt durch Sozialdumping den Kampf um die zu geringe Anzahl von Arbeitsplätzen zu führen und damit letztlich Arbeitsplatzvernichtung zu betreiben. Neben europaweiten Mindeststandards ist hierzu ein europäischer rechtlicher Rahmen zu schaffen, der europaweite Tarifpolitik erleichtert. Daneben muß auch der Soziale Dialog der Sozialpartner intensiviert werden.

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1.7. Sozialer Schutz aller Beschäftigungsverhältnisse

Die verschiedenen sogenannten "Beschäftigungsförderungsgesetze", die die Vereinbarung ungeschützter Arbeitsverhältnisse erleichtern, müssen beseitigt werden. Statt dessen bedarf es eines gesetzlichen Regelungswerkes, das alle Arbeitsverhältnisse - unabhängig vom Umfang und der Art der Beschäftigung - und auch Scheinselbständige den gleichen umfassenden arbeitsrechtlichen und sozialen Schutznormen unterstellt. Auch auf diesem Gebiet wird ein europäisches Regelwerk notwendig sein, damit nicht schlechte arbeitsrechtliche und soziale Normen im wirtschaftlichen Wettbewerb belohnt werden.


Die gegenwärtige Demontage des ohnehin nur eingeschränkten Kündigungsschutzes führt nicht etwa, wie ihre Protagonisten in Wirtschaft und Regierung behaupten, zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, sondern erleichtert Massenentlassungen und Willkür. Das Kündigungsschutzrecht muß wieder seine Bezeichnung verdienen. Dazu gehört, daß auch bei sogenannten betriebsbedingten Kündigungen die gegenwärtig nicht justitiablen "freien" Unternehmerentscheidungen einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen müssen. Nur bei nachgewiesener wirtschaftlicher Zwangslage dürfen betriebsbedingte Kündigungen zulässig sein. Personalabbau als Mittel zur Gewinnmaximierung wäre danach verboten.


Bei der Sozialauswahl hat es dabei zu bleiben, daß grundsätzlich alle Beschäftigten in die Überprüfung einzubeziehen sind, damit gerade auch gegebenenfalls leistungsschwächere ArbeitnehmerInnen eine Chance haben, von Kündigungen verschont zu bleiben.


Der Kündigungsschutz muß unabhängig von der Betriebs- und Unternehmensgröße gelten (Abschaffung des Schwellenwertes des § 23 Abs. 1 KSchG). Gegebenenfalls wird für sehr kleine Unternehmenseinheiten (1 bis 3 MitarbeiterInnen) an eine geringere Intensität der rechtlichen Überprüfung zu denken sein.


Die ab dem 5.4.1999 obligatorische Anrechnung von Abfindungszahlungen für den Verlust des Arbeitsplatzes bei denen, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Anspruch nehmen, stellt einen verfassungswidrigen Eingriff in die als Eigentum geschützten Ansprüche auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung dar.


Teilzeitprojekte können im Interesse der ArbeitnehmerInnen gefördert werden, wenn diese Arbeitsverhältnisse den gleichen Schutz genießen wie Vollzeitarbeitsverhältnisse. Das bedeutet z.B., daß bei Wechsel auf Teilzeitarbeit ein fester Rückkehranspruch garantiert wird.


Bei Kinderbetreuung auch über das 3. Lebensjahr hinaus und soweit kein Kindergartenplatz oder kein Platz in einer Ganztagsschule bereitsteht oder in Anspruch genommen wird, ist ein gestuftes Familiengeld aus Steuermitteln zu zahlen, daß bei Teilzeitbeschäftigung die Differenz zum Entgelt aus der Vollzeitbeschäftigung ausmacht und bei Nichterwerbstätigen als dynamischer Festbetrag ausgestaltet ist, für das entsprechende Rentenanwartschaften zu begründen sind. Parallel dazu sind aber die öffentlichen Angebote der Kinderbetreuung ab der Geburt auszubauen, so daß wirklich frei gewählt werden kann, wie das Kind betreut wird.

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1.8. Recht auf Aus- und Weiterbildung

Bildung kann eine wesentliche Grundlage bilden für eine freie, solidarische und gerechte Gesellschaft. Das Recht auf Bildung muß für jede und jeden durchgesetzt werden, unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht oder Vorbildung sowie regionaler Unterschiede. Die Trennung von beruflicher und allgemeiner Bildung ist aufzuheben. Dazu gehört auch ein größeres Angebot an doppeltqualifizierenden Ausbildungsgängen sowie die Öffnung der Hochschulen für BewerberInnen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Die Weiterbildung muß zu einem gleichberechtigten Teil des Bildungswesens ausgebaut werden. Für Zeiten der Aus- und Weiterbildung ist eine ausreichende soziale Absicherung zu gewährleisten.


Das Recht auf Aus- und Weiterbildung ist fundamentale Voraussetzung für ein Recht auf qualifizierte Arbeit. Es ist ebenfalls als Staatsziel festzulegen und als Individualrecht abzusichern.

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2. Neuentwicklung des öffentlichen Sektors

Der öffentliche Sektor hat insbesondere unter der politischen Herrschaft der CDU/FDP-Koalition seine daseinssichernde Funktion verloren. Große Teile sind inzwischen privatisiert oder sollen demnächst privatisiert werden. Von der ursprünglichen Funktion der Erfüllung besonderer öffentlicher Aufträge, ist dieser Bereich reduziert worden auf eine Dienstleistungsfunktion, die kostendeckend wenn nicht gar gewinnerwirtschaftend tätig sein muß. Der eigentliche soziale Auftrag dieses Sektors ist auf diese Weise häufig verloren gegangen. Der öffentliche Sektor könnte auch und gerade unter heutigen Bedingungen wichtige soziale, kulturelle und auch ökologische Funktionen erfüllen. Er sollte daher neu entwickelt, modernisiert und verfassungsrechtlich bestimmt und abgesichert werden.


Für die Arbeitsmarktpolititk bedeutet dies, daß innovativ neue Beschäftigungsfelder erschlossen werden und der Strukturwandel aktiv mitgestaltet wird.

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3. Für ein gerechtes Steuersystem

Die gegenwärtig hohe Steuerbelastung der Bevölkerung ist sozial sehr ungleich verteilt, was dem aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Steuergerechtigkeit eklatant widerspricht. Während die Gewinnsteuern heute einen Anteil von rund 10 % am gesamten Steueraufkommen haben, ist der Anteil der Lohnsteuern auf 37 % gestiegen, ist die Vermögenssteuer abgeschafft worden. Ein großer Teil der sozialen Probleme ließe sich durch Ausschöpfung steuerlicher Umverteilungspotentiale zugunsten der Bezieher niedrigerer Einkommen lösen.


Als Maßstab der steuerrechtlichen Lastengleichheit hat das Bundesverfassungsgericht auf das Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgehoben. In dem Urteil zur Zinsbesteuerung hat es aus dem Gleichheitssatz darüber hinaus gefolgert, daß die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz "rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden" und die Pflicht zur Gleichheit nicht durch "gesamtwirtschaftliche Belange" relativiert werden dürfe.


Allein schon die Ausgestaltung der Unternehmersteuer als "Gestaltungssteuer" im Gegensatz vor allem zur Lohnsteuer als "Zwangssteuer" lädt zum massenhaften Verstoß gegen das Prinzip gleicher Steuerbelastung ein. Der faktische Spitzensteuersatz liegt denn auch nicht bei 53 %, sondern ungefähr bei 38% - auch ein Ergebnis von Deregulierung und "Rückzug des Staates", von dem nur Großverdiener profitieren.


Ganz wesentlich ist auch die Nutzung der Finanzpolitik für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft. Erster Schritt für eine ökologische Steuerreform könnte eine Erhöhung der Mineralölsteuer sein, wenn die damit verbundenen Steuereinnahmen zweckgebunden für den zügigen und umfassenden Ausbau eines qualitativ hochwertigen und bedarfsgerechten öffentlichen Personennahverkehrs auch in Bereichen des Stadtrands und in ländlichen Gebieten eingesetzt werden.

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4. Gleichstellung von Frauen und Männern

Die Gleichstellung von Frauen und Männern hat in den letzten Jahren durchaus Fortschritte gemacht. Dies ist einer der Politikbereiche, in denen das europäische Recht sich zumindest teilweise positiv ausgewirkt hat. Dennoch sind die geltenden gesetzlichen Regelungen nicht ausreichend, was sich insbesondere bei Versuchen des Gesetzgebers gezeigt hat, durch zeitlich begrenzte "positive Diskriminierung" von Männern die Gleichstellung von Frauen zu unterstützen. In der Verfassung ist daher die Gleichstellung von Frauen und Männern in einer Weise abzusichern, daß auch zeitlich begrenzte positive Diskriminierung möglich wird. Zu einer effektiven Gleichstellungspolitik zählt auch, daß nicht nur bestimmte "typische" Lebensmuster von Frauen (Kindererziehung bei völligem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt) sozialrechtlich gefördert werden, sondern jede Erziehung von Kindern, gerade auch, wenn sie mit Erwerbstätigkeit verbunden wird.

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5. Arbeitssicherheit/Gesundheitsschutz/Schutz bei Erwebsminderung

Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutzes sind rechtlich stärker abzusichern. ArbeitnehmerInnen müssen noch klarer als im neuen Arbeitsschutzgesetz normiert ein Recht auf Leistungsverweigerung erhalten bei Arbeitsbedingungen, die gegen die Arbeitssicherheit oder den Gesundheitsschutz verstoßen. Den Betriebsräten müssen auch in diesem Bereich wirksame Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden. Dem Präventionsgedanke muß bei Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz Vorrang eingeräumt werden.


Damit Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz nicht zum Wettbewerbsnachteil werden, bedarf es europaweiter bzw. internationaler verbindlicher Normen. Da die Umsetzung von Richtlinien sehr unterschiedlich erfolgt (die BRD hat die Umsetzung oft um viele Jahre verzögert), müssen ArbeitnehmerInnen und ihre Interessenvertretung die Möglichkeit erhalten, sich direkt auf noch nicht umgesetzte Richtlinien zu berufen.


Das Recht auf sechswöchige hundertprozentige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist gesetzlich wiederherzustellen. Finanzielle und arbeitsrechtliche Anreizsysteme zur Nichtinanspruchnahme notwendiger Krankheitszeiten sind zu unterbinden. Neue Finanzierungsformen für Krankheitszeiten dürfen nicht zu Lasten der ArbeitnehmerInnen gehen.


In der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Beitragsbemessungs- und Pflichtversicherungsgrenze aufzuheben und sind alle in die GKV einzubeziehen. Finanzielle Eigenbeteiligung der ArbeitnehmerInnen bei Erkrankung und Kur sind zu aufzuheben. Das gesamte System der Krankenversicherung ist nach dem Solidarprinzip durchgängig zu gestalten.


Bei der Reform der Erwerbsminderungsrenten ist sicherzustellen, daß leistungsgeminderten Versicherten ein echter Versicherungsschutz verbleibt und die Erwerbsunfähigkeitsrente ihre Funktion als Lohnersatzeinkommen behält. Die von der Bundesregierung geplante Ersetzung der bestehenden Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrente sowie die Einführung von Abschlägen bei diesen Renten ist abzulehnen. Damit droht ein Rückzug des Sozialstaates aus der Absicherung der immer prekärer werdenden Phase des Übergangs zwischen Erwerbsleben und Regelalterssicherung und eine Überantwortung der Betroffenen an eine schlichte "Fürsorge" durch Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

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6. Erhalt und Ausbau von Mitbestmmungsrechten

Mitbestimmungsrechte der ArbeitnehmerInnen bzw. ihrer Interessenvertretung sind nicht nur eine Bedingung für demokratische Entscheidungsstrukturen in der Wirtschaft. Sie sind ganz besonders Gewähr für soziale Korrekturen unternehmerischen Handelns. Die bestehenden Mitbestimmungsrechte sind daher u.a. in Bezug auf die durch eine Vielzahl von Umwandlungsmöglichkeiten neu in Erscheinung tretenden Unternehmens- und Konzernumstrukturierungen, Betriebsübergänge, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse, Scheinselbständige, Personalpolitik und Personalplanung einschließlich der personellen Einzelmaßnahmen (besonders Kündigungen), Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit zu stärken unabhängig von Betriebs- und Unternehmensgrößen. Dies muß auch im öffentlichen Bereich sichergestellt werden.


Einer Verstärkung der Beteiligungsrechte bedarf es auch für Interessenausgleiche bei Betriebsänderungen, die ebenso wie Sozialpläne durch Betriebsräte erzwingbar werden müssen, damit über bloße Abfindungsregelungen für die Durchführung von Massenentlassungen hinaus auch Arbeitslosigkeit vermeidende aktive betriebliche Beschäftigungspolitik ermöglicht wird. Versuche, durch Beschränkungen für individuelle Nachteilsausgleichsansprüche den Handlungsspielraum für Betriebsräte einzuschränken, sind zurückzuweisen.


Im europäischen Raum wie allgemein im internationalen Wirtschaftsverkehr darf die Handlungsfreiheit der Unternehmen nicht dazu führen, geltende Mitbestimmungsregelungen einzuschränken oder zu unterlaufen. Statt dessen müssen durch europäische und internationale Normen Einflußmöglichkeiten gleicher Qualität für die Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen geschaffen werden.


Bei multinational tätigen Unternehmen sind - obligatorisch - Europäische Betriebsräte einzurichten, die über Informations- und Anhörungspflichten hinaus auch echte Mitbestimmungsrechte erhalten müssen.

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7. Sicherung der Altersversorgung

Die gegenwärtige Rentendiskussion und die Scheinlösungen der Probleme durch die CDU/FDP-Koalition sind das deutlichste Beispiel für die Folgen der Verabschiedung vom gesellschaftlichen Solidarmodell. Staatliche Sozialpolitik kann aber nur auf der Grundlage eines solidarischen Konzepts funktionieren.


Jeder bzw. jedem muß ein eigener Anspruch auf Alterssicherung verschafft werden.


Soweit keine vorrangigen bzw. speziellen öffentlichen Versicherungssysteme bestehen, sind alle Erwerbstätigkeiten in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Dies betrifft insbesondere auch sog. geringfügige Beschäftigungsverhältnisse als auch Scheinselbständige, bei denen der Auftraggeber am Beitragsaufkommen zu beteiligen ist und Selbständige. EhegattInnen, die keine oder eine geringere Rentenanwartschaft als der / die EhepartnerIn haben, erhalten zum Zeitpunkt der Rentenbezugs für die Dauer der Ehe die Hälfte der Differenz.


Für Zeiten, in denen Kinder bis zur Einschulung oder darüber hinaus - soweit kein Ganztagsschulplatz vorhanden ist -, gebrechliche und behinderte Familienangehörige (Eltern, EhepartnerIn, Bruder / Schwester oder LebenspartnerIn) betreut worden sind, sind aus Steuermitteln Rentenanwartschaften zu begründen.


Erworbene Rentenanwartschaften - sei es auf Beitragsbasis oder begründet durch Steuermittel - stehen nicht zur Disposition des Gesetzgebers.


Alle in der Bundesrepublik Lebenden bzw. Bleibeberechtigte haben mit Erreichen der Altersgrenze einen Anspruch auf eine Grundrente, deren Mittel soweit sie nicht auf Beitragsleistungen beruhen, aus Steuermitteln finanziert werden.

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8. Für eine Reform der Arbeitsmarktpolitik

Das AFRG von 1997 hat mit dem neuen SGB III die Arbeitsmarktpolitik endgültig den fiskalpolitischen Engpässen des Bundes ausgeliefert. Alle Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind Ermessensleistungen geworden. Zwar ist die Förderung von Arbeitsplätzen im ersten Arbeitsmarkt zum Teil begrüßenswert weiterentwickelt worden. Aber solange die gegenwärtige Arbeitsmarktkrise anhält, sind auch umfangreiche Förderinstrumente für einen "zweiten Arbeitsmarkt" öffentlich geförderter Alternativen zum ersten Arbeitsmarkt notwendig. Die radikalen Kürzungen bei ABM sind deshalb zurückzunehmen und neue Instrumente der Förderung (soziale Betriebe, wie sie einige Länder praktizieren) müssen entwickelt werden. Mit allen Mitteln wieder umzukehren ist der Trend im neuen SGB III, über hoheitliche Maßnahmen einen Niedriglohnsektor durchzusetzen (Verschärfung der Anforderungen an die Zumutbarkeit, Absenkung der Arbeitsbedingungen im zweiten Arbeitsmarkt und Schaffung eines neuen Arbeitsrechts für Wiedereingliederungsverträge).


Die Europäische Union muß durch entsprechende Kompetenzerweiterung - insbesondere auch des europäischen Parlaments - zu europäischer aktiver Arbeitsmarktpolitik verpflichtet und in die Lage versetzt werden.

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9. Eine Mindestsicherung tut Not

Sozialversicherungssysteme knüpfen an Arbeitsverhältnisse an und laufen deshalb immer Gefahr, neue, unkonventionelle und vom Recht noch nicht erfaßte Beschäftigungsverhältnisse sowie nicht marktmäßige Arbeit von der allgemeinen sozialen Sicherung auszuschließen. Auch wird die Zunahme diskontinuierlicher, atypischer Arbeitsverhältnisse dazu führen, daß immer mehr Personen nur auf eine lückenhafte soziale Sicherung bei Dauerarbeitslosigkeit oder im Alter zurückgreifen können. Deshalb ist es notwendig, wie dies in sehr vielen anderen Mitgliedsstaaten der EU der Fall ist, in die sozialen Sicherungssysteme der Arbeitslosen- und der Rentenversicherungssysteme Elemente der Mindestsicherung einzubauen, die - bei nicht zu hohen Schwellen - allen Mitgliedern der Systeme eine Basissicherung, die oberhalb der Sozialhilfe liegt, gewährleistet. Des weiteren muß die Mindestsicherungsfunktion der Sozialhilfe ausgebaut und insgesamt sozialpolitisch breit die Möglichkeit einer Grundsicherung (Grundeinkommen, negative Einkommenssteuer) diskutiert werden.

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10. Rahmen für europaweites / internationales Agieren von Gewerkschaften

Den Gewerkschaften wird auch in Zukunft eine unverzichtbare sozialpolitische Aufgabe zukommen. Die gewerkschaftlichen Handlungsbedingungen sind bisher allerdings nur einzelstaatlich festgelegt. Es fehlen gesetzliche Rahmenbedingungen für gewerkschaftliches Handeln auf europäischer bzw. allgemein auf internationaler Ebene. Das gilt insbesondere für die fundamentalen gewerkschaftlichen Rechte wie den Abschluß von Tarifverträgen, das Streikrecht, das Verbot der Aussperrung, das Zugangsrecht zum Betrieb. Diese zu schaffenden europäischen rechtlichen Bestimmungen müssen die Tarifautonomie auf europäischer Ebene stärken und dürfen nicht einschränkend wirken im Sinne eines Verbändegesetzes. Nur so können die Gewerkschaften dem wachsenden internationalen wirtschaftlichem Wettbewerbsdruck wirkungsvolle eigene Konzepte entgegensetzen.


September 1997

Bei Presserückfragen wenden Sie sich an: Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der VDJ, Tel.: 06971163438, E-Mail: bundessekretaer@vdj.de
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